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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Fahrradmantel über eine Peitschenlampe zu fädeln. Wie ich aus seinem drei Meter fünfzig hohen Fenster sprang, um einem seiner Bösartigkeitsanfälle zu entkommen. Wie er mit seiner Schwester das Schachspielen entdeckte und sie mir vormachten, wie sie die Partien mit “japanischen” Höflichkeitsverbeugungen begannen wie Kampfsportler. Wie er mir zeigte, wie man eine Schallplatte mit einem gefalteten Pappkarton und einer Stecknadel abspielen kann. Wie wir hunderte von Papierzeppelinen vom Balkon warfen. Wie wir eine Höhle unter dem Dachfirst im dritten Stock bauten und unser Bettzeug raufschleppten und dort übernachteten, als meine und seine Eltern verreist waren. Wie er mir Liebesbriefe an Annett Solty mitgab, die zufällig in meiner Klasse war. Wie er Ulf Dassow schlug, nachdem der Kai geschlagen hatte. Wie er in der schwarzen Gymnastikhose Handball spielte an der Realschule Aurikelstieg, wo mein Vater Lehrer war. Wie er die Schule schmiß. Wie er seine neuen Adressen verschwieg, weil sie ihm peinlich waren. Wie er eine Adresse in Hamburg nannte, und ich fuhr einen ganzen Nachmittag kilometerweit mit dem Rad dorthin, um festzustellen, daß es die Adresse nicht gab. Angeblich hatten sie einen Swimming-Pool dort. Das letzte Bild von ihm, die letzte Begegnung: Ich kann mich nicht erinnern. Wahrscheinlich fuhr er auf dem Mofa davon, und ich stand am Möhlenbarg und sah ihm nach.

    Ungefähr in der fünften Klasse hatten wir eine Zeitlang unsere eigenen Zeitschriften mit einer Auflage von je einem Exemplar. Meine hieß ZfS, Zeitung für Schwachsinnige, wie Stefans hieß, weiß ich nicht mehr. Aber an einen seiner Artikel erinnere ich mich noch: “Pazifik entführt! Letztes Foto des Vermißten:” – und dann ein blaues Quadrat.

    Von meiner Mutter hörte ich einmal, er sei Filialleiter eines Supermarktes geworden. Ich habe ihn mehr geliebt als alle meine anderen Freunde.

    11.5. 2010 00:55

    Erste milde Hypochondrie. Dieses Ziehen am Kopf, der komische Druck auf den Ohren, und immer der Gedanke: Jetzt geht’s schon los. Gleichzeitig auf der Mailingliste Diskussion über Fälle, die es trotz guten MRT-Befundes nach drei oder vier Monaten zerlegt.

    Ich bin trotzdem ruhig, aber ich fühle mich, als wäre ich schon nicht mehr hier, schon auf der anderen Seite. Das ist nicht schön, aber ist auch nicht mehr wichtig. Spazierengegangen an den Hackeschen Höfen vorbei, in ein Café gesetzt und an den Ausdrucken gearbeitet. Am Nebentisch ein Mann, der einer nicht deutschsprachigen Frau von einem Land erzählt, wo die Leute wahnsinnig oberflächlich sind.

    Einen Ordner UNBESEHEN LÖSCHEN auf meinem Desktop eingerichtet und Freunde gebeten, gemeinsam dieser Aufforderung nachzukommen. Ich möchte, daß es am Ende mehrere sind und nicht ein einzelner, der aus Neugier oder anderen persönlichen Gefühlen auf die Idee kommt, meine Entscheidung in Frage zu stellen. Außerdem alle Festplatten und Speichermedien zerhacken, bitte. Priester sind mit Waffengewalt von mir fernzuhalten.

    Und wo wir schon dabei sind: Ich hoffe, es kommt keiner auf die Idee, eine Annonce aufzugeben oder einen Kranz zu kaufen. Besauft euch im Prassnik. Meine Vorstellung einer geglückten Party war immer: Beckett / Murphy, Kapitel 12. Wenn es jemand schafft, so ein Papiersäckchen aufzutreiben, würde mich das ohne Ende erheitern. Und um das restliche Pathos gleich noch mit wegzuerledigen: Ich wünsche euch, wenn eure Stunde kommt, daß ihr Freunde habt, wie ihr es seid.

    Thema Ende.

    11.5. 2010 10:03

    Gestern bis vier nicht geschlafen. Trotzdem kein Schlafmittel. Heute um neun aus dem Bett gesprungen, festgestellt, daß mir nichts fehlt, losgearbeitet. Harvest, Neil Young: meine erste Kassette, aufgenommen von meiner ersten Freundin. Hatte man nicht immer gesagt, diese Kassetten halten höchstens zehn, fünfzehn Jahre? Und weil die Rückspulfunktion kaputt ist, muß ich die andere Seite jetzt auch noch hören: Georges Moustaki. 1982.

    11.5. 2010 13:53

    Klaus Caesar und Fil schauen vorbei und zeigen mir ihr Kinderbuch. Es geht um einen Elefanten mit einer speziellen Fähigkeit. Ich finde es sehr lustig, bezweifle aber, daß ich es als Kind gemocht hätte.

    11.5. 2010 17:32

    Der ungeheure Trost, der darin besteht, über das Weltall zu schreiben. Heute die Szenen mit dem Sternenhimmel, mit Starship Troopers und der Entdeckung der Nacht eingebaut. Wie der Held sich erinnert, mit acht Jahren in der Dunkelheit durch den Hogenkamp gejoggt zu sein,

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