Arbeit und Struktur - Der Blog
Zeiten der Manie, und da war ich noch vollkommen sicher, daß es nur eine Waffe sein könne. Aus dem einfachen Grund, daß ich herumging und mich prüfte und spürte, die Sache nicht in einem Moment der Verzweiflung, sondern der Euphorie hinter mich bringen zu können, und ohne Probleme. Voraussetzung dafür war, daß zwischen Entschluß und Ausführung nicht mehr als eine Zehntelsekunde liegen dürfe. Schon eine Handgranate wäre nicht gegangen. Die Angst vor den drei Sekunden Verzögerung hätte mich umgebracht. Medikamente mit dem langwierigen Vorgang des Schluckens und Wartens sowieso. Weil ich wollte ja nicht sterben, zu keinem Zeitpunkt, und ich will es auch jetzt nicht. Aber die Gewißheit, es selbst in der Hand zu haben, war von Anfang an notwendiger Bestandteil meiner Psychohygiene. Googeln fällt mir unsagbar schwer, ein praktikables How-to nicht auffindbar. Freunde informiert: Falls jemand von Mitteln und Wegen weiß oder im Besitz davon ist – am 21. Juni ist das erste MRT. Bis dahin brauche ich was hier. Ob ich die Disziplin habe, es am Ende auch zu tun, ist noch eine ganz andere Frage. Aber es geht, wie gesagt, um Psychohygiene. Ich muß wissen, daß ich Herr im eigenen Haus bin. Weiter nichts.
5.5. 2010 9:50
Morgens mit dem Fahrrad die Spree entlang, auf dem Weg von C. nach Hause. Ausschließlich Frauen am Ufer. Sie gehen spazieren und machen mit den Armen Bewegungen, daß man sieht, es soll Sport sein. Vielleicht ist Moabit zu arm für Skistöcke.
Und richtig gut angesehen ist man im 451 auch nicht, wenn man den neuen Roland Emmerich ausleiht.
5.5. 2010 22:20
Wieder runter zu meinem Nachbarn, der es schafft, mir den Tag zu versauen. Nachdem er die Tür aufgemacht hat, frage ich nur: Geht’s? und gehe wieder, und er fragt mich allen Ernstes, warum ich geklingelt habe. Warum habe ich all die Jahre bei ihm geklingelt? Damit er mir mit einer Tasse Zucker aushilft? Um seinen Subwoofer zu loben? Warum noch mal? Die letzten drei Jahre hat er übrigens fast nie die Tür aufgemacht, auch wenn man nachts Sturm klingelte. Ich träumte immer davon, ihn mit zwei Metallwinkeln von außen zuzudübeln.
10.5. 2010 18:20
C. hat mir einen Stapel Jugendliteratur hingestellt, damit ich sehe, was die Kollegen so treiben, darunter drei Gewinner des Deutschen Jugendbuchpreises. Bis auf ein Buch unternimmt keins die Mühe, eine Geschichte erzählen zu wollen, sprachlich wirken sie, als wollte ein Kulturpessimist die Ansicht demonstrieren, Jugendliche könnten längere, zusammenhängende Sätze oder Gedanken weder formulieren noch begreifen.
In Heim (2004), das noch am spannendsten zu sein scheint, hingegen gleich der sprachliche Biedersinn. Erst mit “ätzend” und “Tussi” losgekumpelt, und dann: “Der konnte warten, bis er grün wurde!” – “Wenn der wüßte, wofür ich mich ganz gewiß nicht interessierte!” Ja, so redet sie, die Jugend, die sich ganz gewiß nicht dafür interessierende.
Mein Lieblingsjugendbuch neueren Datums immer noch: Holes von Sachar, das ich nicht aufblättern kann, ohne sofort das ganze Buch zu lesen. Diary of a Wimpy Kid, zur Zeit auf den Bestsellerlisten, ist auch nicht schlecht. Irgendwann ist man satt davon, aber die Einfälle sind hübsch.
Lektüre: Huckleberry Finn. Ich kann mich nicht erinnern, wann genau ich das zum ersten Mal gelesen habe. Aber dieser unfaßbare Beginn, wie Huck in seiner Kammer sitzt: “I felt so lonesome I most wished I was dead. The stars was shining, and the leaves rustled in the woods ever so mournful …” Und dann am Ende das zweifache Miauen im Garten und: “Then I slipped down to the ground and crawled in amongst the trees, and sure enough there was Tom Sawyer waiting for me.”
Wenig hat mich, glaube ich, im Leben glücklicher gemacht als die Kieselsteine, die Stefan Büchler in der Dämmerung gegen mein Fenster schnickte. Die Abende, wo wir die letzten draußen waren, alle anderen längst im Bett. Wie wir immer auf dem Rand der Sandkiste saßen und Sandklopse formten, um uns zu erinnern, wie viele Abende zuvor wir das auch schon gemacht hatten. Wie wir auf allen vieren kilometerweit durch das Kornfeld gekrochen sind: Flucht aus der DDR. Wie er ein Taschentuch an dem Bauwagen hinter den Feldern aufhängte, wenn er Zeit hatte und ich ihn besuchen konnte. Wie er mich einmal verraten hat. Wie wir einen ganzen Tag lang versuchten, die Wurfgeschosse aus dem Stoppelfeld über die Stromleitung zu schleudern. Wie wir es schafften, den
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