Arbeit und Struktur - Der Blog
wie schmal der Grat zwischen Freiheit und längerem Zwangsaufenthalt ist (so schmal wie der Grat zwischen Psychose und keiner Psychose, schätzungsweise). Und weil ich meinen Mitteilungsdrang selbst nur schwer in den Griff kriege, verbietet mir die Königin schließlich jede Kommunikation über mein Inneres mit Ärzten, Freunden und Bekannten. Ob man mir von diesen Kämpfen äußerlich noch etwas anmerkt, weiß ich nicht. Glaube aber nicht. Genausowenig, wie ich beurteilen kann, ob diese letzte Aktion der Königin noch Ausgeburt des Wahnsinns ist oder nicht vielmehr die bildliche Rückkehr der Vernunft, welche sinnlos überbordenden Mitteilungsdrang ja auch sonst mit Verbot belegt.
Die Königin lacht noch einmal triumphierend, als ich die Neuropsychiatrie verlassen darf und verschwindet bald darauf mit den anderen Schatten zusammen.
Allein die Walther ist als Gegenstand irgendwie verblieben, aber ohne Gegner läßt sie sich nicht beleben. Die Mitteilung, daß ich sterben muß, dringt in diesen Tagen noch zu mir durch, versickert aber in den höheren Schichten des Bewußtseins im relativistischen Sand.
Und den Rest habe ich ja schon erzählt.
PS: Sowohl im nachhinein als auch insbesondere währenddessen sehr bedrückender Gedanke: Daß man als Individuum auf diese Belastung nicht individuell reagiert, sondern superkonventionell, mit geradezu normiertem verrücktem Verhalten, das hunderttausend andere Verrückte an dieser Stelle auch schon vorgeführt haben, und also gar kein Individuum, keine psychisch autonome Einheit mehr ist. Das ist das tatsächlich Furchteinflößendste, während man drinsteckt: Man steckt auf einmal nicht mehr drin in etwas, was man bis dahin als Selbst wahrzunehmen gewohnt war, als Ich, so fragwürdig man die synthetische Konstruktion des Ichs auf einer intellektuellen Ebene schon immer empfunden hat (aber rein alltagstechnisch war dieses Ich doch sicher vorhanden), und dann löst es sich auf in das unpersönliche Agieren eines vom Evolutionsprozeß sehr sinnvoll und zugleich schwachsinnig an die Härten der Welt angepaßten durchschnittlich durchgedrehten Vertreters der Art. Was einem immerhin die Selbstbeobachtung erleichtert: Man weiß im Grunde sofort, daß man verrückt ist. Das heißt, ich wußte es. Und dann verdrängte ich es um der Hoffnung willen, so bleiben zu dürfen. Denn es ging mir fantastisch.
PPS: Überflüssig zu erwähnen, daß der bei Holm von mir verzweifelt gesuchte Text später doch noch aufgetaucht ist: Es ist dieser Text.
Neun :
6.10. 2010 23:55
Onkel Boonmee gesehen, Gewinner von Cannes. Man sieht, wie einer vier Minuten duscht, und er gehört weiß Gott nicht zu den interessanten Duschern. Artsy-fartsy Thailand. 1 Punkt, weil ich weinen mußte, als der Tote reinkam. Das Beste: Man fühlt sich wie mit sechzehn, als man so was bis zum Ende guckte und dann noch darüber nachdachte, was es zu bedeuten hätte.
Anschließend Lektüreempfehlung von Christoph, Der Tod und der Kompaß von Borges, angeblich die beste Kriminalgeschichte der Welt. Lese sie und fühle mich erneut, als hätte ich den Schuß nicht gehört. Ein Kommissar, der mit Hinweisen zu seiner eigenen Ermordung gelockt wird? Ja?
8.10. 2010 16:07
Drei Wochen ist Tschick raus, und in keiner Buchmessenbeilage und keiner Zeitung. Es ist mir nicht so gleichgültig wie früher.
8.10. 2010 20:00
Fußball in der Halle. Nachdem wochenlang jeder Direktpaß von mir beim Gegner landete, geht’s heute wieder. Weiß nicht, ob es an der Hallensituation liegt oder ob in meinem Hirn irgendwas sich regeneriert. Denn eigentlich muß man dazu aus den Augenwinkeln sehen können. Körperlich insgesamt wahnsinnig fit.
10.10. 2010 14:56
Ich gebe keine mündlichen Interviews mehr, aber für die bulgarische Germanistin Jelenia Gora würde ich noch mal eine Ausnahme machen.
10.10. 2010 16:56
Passig nennt das, was ich da schreibe, Wikipedia-Literatur. Neues, sinnlos mit Realien überfrachtetes Genre, das sich der Einfachheit der Recherche verdankt. Rechtfertige mich damit, daß das meiste ja doch erfunden ist.
Vor zwei, drei Jahren auch schon mal angefangen, Sachen in die Wikipedia reinzuschreiben, die in meinem Roman vorkamen. Entweder die Fiktion paßt sich der Wirklichkeit an oder umgekehrt. Den Vorwurf der Schlampigkeit will man sich ja nicht gefallen lassen.
11.10. 2010 19:38
Rayk Wieland schreibt mir, er habe in einer alten Kosmogonie einmal die Abbildung des Nichts gesehen: ein schwarzes,
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