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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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riesige, meterlange Blindschleiche herumschwimmt. Meine Mutter fordert mich auf, Panzerangriffsgeneral Guderian um Hilfe zu bitten; was ich tue.

    Gestern das Ladegerät bei C. vergessen: Der Tag beginnt mit einer einstündigen Fahrradtour. An der Spree die Bäume schon fast kahl. Meine Sentimentalität angesichts der Frage, ob sie noch einmal grün werden, hält sich in Grenzen angesichts des Entschlusses, demnächst noch mal nach Griechenland oder Portugal zu fahren, oder wo immer Sommer ist. Oder wenigstens ans Meer.

    1.11. 2010 20:28

    Noch mal Unmengen Zeichnungen weggeworfen. Ich kann im Studium tatsächlich nicht so faul gewesen sein, wie ich immer dachte. Die Wochen, Monate, Jahre Arbeit, die da drinstecken, soll man sich da im nachhinein Gedanken machen? Das eigentliche Problem jener Zeit, von dem es keine Aufzeichnungen gibt: mein inexistentes Sozialleben. Wenn ich in den Semesterferien manchmal drei Monate mit keinem Menschen sprach außer der Supermarktkassiererin.

    2.11. 2010 13:20

    In den Neunzigern mal sehr begeistert Kempowskis Sirius gelesen, jetzt in Somnia reingeguckt, entsetzt. Der Lustigkeitshumor, der Stolz auf die eigene Kleinkariertheit und zwischendurch immer wieder ein schlimm gealterter Anti-PC-Reflex. Neger, Frauen, man will es nicht wissen.

    2.11. 2010 13:30

    Dr. Vier erklärt Verreisen und Schwimmen für unbedenklich. Epileptische Anfälle seien bei mir eher nicht zu erwarten, da bisher und auch initial nicht aufgetreten. Aller Wahrscheinlichkeit nach beginnt der Tod mit Kopfschmerzen.

    3.11. 2010 17:03

    C. am Telefon: “Lebensunfähig, träge, dachte vorhin, ich geb alle Ziele auf, die ich habe, bis mir einfiel, ich hab ja gar keine.”

    Bekomme jeden Tag Briefe und Karten, die ich nicht mehr beantworten kann. Grüße an dieser Stelle.

Zehn : 

    5.11. 2010 9:35

    Vor Schloß Bellevue steht ein Mann mit Deutschlandfahne. Lange, blonde Haare, Gesicht rotlila vom Wetter, Badelatschen. Wofür oder wogegen er demonstriert, haben ihn auch schon die Polizei und ein Mitarbeiter des Bundespräsidialamtes gefragt. Bürokaufmann aus Göhren, hat jetzt ein paar Tage frei und reist mit seiner Fahne herum, weil er der Ansicht ist, es laufe einiges schief in dieser Republik. Kinder, die mittags zur Tafel müßten, weil sie zu Hause nichts bekommen, zum Beispiel. Freundliches Winken.

    6.11. 2010 22:52

    Breaking Bad und die Idee, alles noch einmal auf den Kopf zu stellen.

    7.11. 2010 15:05

    Wohnungsbesichtigung in Charlottenburg. Der Versuch, mein Leben nicht in einer dunklen 1-Zimmer-Hinterhofwohnung ausklingen zu lassen, erweist sich als schwierig. Nie im Leben einen Pfennig Schulden gehabt, durch Tschick Geld wie Heu auf dem Konto, aber kein Einkommensnachweis. Ohne Bürgschaft meiner Eltern käme ich an keine Wohnung ran. Auch insofern vorteilhaft, sie nicht zu überleben. Die Wohnung allerdings nicht besonders schön, beim Blick ins Badezimmer sehe ich die zukünftige Blutlache auf den Fliesen, und weitere Besichtigungen schaff ich nicht. Macht alles zu viel Umstände. Allein die Angst vor dem Papierkram.

    8.11. 2010 9:38

    Traum: Passig teilt mir mit, daß sie ein Buch über mich schreiben wird, einen Unterhaltungsroman, in dessen Mitte ich so unbeweglich stünde “wie sonst auf dem Fußballplatz”.

    Erwache mit starken Kopfschmerzen und vermute einige Stunden das Naheliegende. Die letzten Tage schon Gleichgewichtsschwankungen. Weder Angst noch Beunruhigung. Der Wille zu leben längst nicht mehr so stark wie der Wunsch, sich zu verabschieden. Die Kopfschmerzen verschwinden am Nachmittag.

    9.11. 2010 22:55

    C.s Vater hat jetzt Knochenkrebs.

    16.11. 2010 12:23

    Tom Lubbock stirbt und schreibt. Sein Glioblastom sitzt im Sprachzentrum:

    “My language works in ever decreasing circles. The whole of English richness is lost to me and I move fewer and fewer words around.

    I cannot count. At all.

    Marion and her embrace.

    Ground, river and sea.

    Eugene – his toys, his farm, his cars, his fishing game.

    Getting quiet.

    Names are going.”

    23.11. 2010 21:24

    Schalte zufällig in etwas rein, was sich Corine-Buchpreis nennt, 3sat, große Abendgala. Hans Joachim Schädlich gewinnt im Bereich Belletristik, und Kokoschkins Reise sinkt bei amazon auf 50.000.

    24.11. 2010 8:07

    Ganz feiner Schnee.

    Es ist ein Kampf. Die ganzen letzten Tage schon. Ich will tot sein, jede Stunde, nur noch tot sein. Ich habe mich damit abgefunden, vor einigen Wochen bereits, da war ich mir noch

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