Arbeit und Struktur - Der Blog
mit Kritzelstrichen ausgemaltes Rechteck, an dessen Seiten jeweils “ad infinitum” geschrieben war.
12.10. 2010 11:00
Der Wunsch, tot zu sein, zum ersten Mal von keiner Unruhe begleitet.
13.10. 2010 15:40
Korrekturen für die zweite Auflage von Tschick telefonisch an Marcus. Können aber wahrscheinlich nicht eingearbeitet werden, da sie sofort losdrucken müssen. Dann vielleicht in der dritten.
Die SZ (Seibt) kostet mich eine Runde Bier: erste Rezension ohne Salinger.
14.10. 2010 5:32
Dritter Tag der Chemo (letzter Zyklus), und zum ersten Mal muß ich kotzen. Und dann auch gleich richtig und die ganze Nacht, am Ende kommt Blut. Halte verzweifelt Ausschau nach den teuren Medikamenten, aber nach sechs Stunden im Magen ist das von einer Konsistenz, daß es auch härtere Leute als ich nicht mehr auf den Speiseplan setzen würden.
14.10. 2010 19:46
Verlorener Tag. Zum Arzt gefahren für neues Rezept, außerhalb der Sprechzeiten angekommen. Dosis für heute hab ich glücklicherweise noch. Liege den ganzen Tag schlapp in der Gegend rum mit dem Finger auf Reload bei amazon. Mein kleiner Lada ist in Schlangenlinien am Buchpreis-Chevrolet rechts vorbei, Vargas Llosa liegt längst hinter ihm, vor ihm jetzt die Untiefen aus Vampiren, Gesetzbüchern und Wanderhuren. Ich glaube nicht, daß er noch weit kommt, aber wenn er vor Natascha Kampusch eine respektvolle Vollbremsung einlegt, ist das okay.
19.10. 2010 11:56
Der Arzt im Traum sagt: drei oder vier Jahre.
Nach einer Woche chemischer Keule zum ersten Mal einigermaßen aufgewacht heute.
20.10. 2010 7:16
Fahre vor Sonnenaufgang nach Hause, es regnet. Arbeit bei offenem Fenster mit voll aufgedrehter Heizung, meine Reste von Naturerlebnis.
Heute vor 24 Jahren Fahrt an den Westensee, um A. zu zeichnen, nachdem ich ein Jahr lang oder länger Tag für Tag und Stunde für Stunde auf ihren Anruf gewartet hatte. “Ich meld mich mal.” Ja, am Arsch.
20.10. 2010 22:00
Erster Besuch in einem regulären Schwimmbad seit dem Zivildienst. Alles sehr schön und sonderbar.
21:10. 2010 20:15
Zum Yoga hat C. was rausgesucht, was ihrer Meinung nach nicht esoterisch ist. Wenn das nicht esoterisch ist, möchte ich mal sehen, wie’s bei den Abgedrehten zugeht. Die Anweisungen, sich wegzuatmen und leer zu machen von allem, kollidieren fundamental mit meiner Selbsthypnosemaschine im Innern. Noch leerer werden als ein Toter, schwer möglich. Allerdings ist es eine gute Gymnastik.
24.10. 2010 9:56
Die letzten Tage krampfhaft versucht, die Lücke in meinem Blog zu schließen. Die Beschreibung des Irrseins macht mich wieder irre. Erwachend nicht mehr an den Tod denken können; lautlos schießt es den Gedanken weg. Mitteilung an C. gemacht, damit sie aufpaßt.
Dabei erst jetzt den schon früh in meinen Notizen auftauchenden und beim Schreiben der HaShem-Rückblende verwendeten Satz bemerkt, die Störinstanz zeige sich “am liebsten im Schutz anderer, positiver Gedanken”. Man wird mir vorwerfen, ein zu mechanistisches Bild des menschlichen Geistes zu haben, aber die partielle Amnesie, das beständige und unkontrollierte Herausgelöschtwerden jedes positiven Gedankens aus mir: offenbar ein Kollateralschaden der Walther.
Notiz an mich selbst: nächstes Mal besser zielen.
24.10. 2010 17:21
Lektüre: Lenz. Mein Einwand gegen die Erzählung der gleiche wie vor zwanzig Jahren: Die poetische Einfühlung in das Kranke. Die berühmte Stelle, Lenz wolle auf dem Kopf laufen, kauf ich nicht, zu offensichtlich-gewollter Ausdruck der Verkehrtheit. Später Lenz’ Angst im Dunkeln, er hätte der Sonne nachlaufen mögen: nein, hätte er nicht.
Und natürlich kriegt mich der Text dann doch; über die Sprache, die Natur, die Unruhe und den sich aufsummierenden Irrsinn. Am Ende beim Lesen eine Gänsehaut. Hab ich, glaub ich, auch noch nie gehabt.
25.10. 2010 19:52
Lektüre: Aquis submersus. Puh.
In einem Anfall tiefer Verzweiflung C. gegenüber mein Innenleben ausgebreitet. Standardisierter Absturz, wenn ich eine Weile nicht gearbeitet habe.
26.10. 2010 9:33
Traum: Mit Bettina Andrae in einem chaotischen Zigeunerlager auf der Suche nach Dan Richter. Bemerke im Halbschlaf, daß ich keinen Grund habe, Dan zu suchen, den ich kaum kenne, und in Wahrheit den Richter suche; mit dem ich telefonierte und dessen Konzept von Arbeit und Struktur mir in den letzten Tagen entglitten ist.
28.10. 2010 10:12
Traum: Ich bade mit meiner Mutter in einem Tümpel, in dem eine
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