Die geheime Welt der Frauen
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Ü berrascht stellte Sima fest, dass sie beim Anblick der perfekt gerundeten Brüste der jungen Frau errötete. Dabei waren Brüste seit fünfunddreißig Jahren ein ganz normaler Teil ihres Geschäfts: Sie kannte die zarten Kurven des noch jungmädchenhaften Busens mit steifen Brustwarzen, wenn sie unbedeckt der kühlen Luft in ihrem Laden im Souterrain ausgesetzt waren, die schmerzenden Brüste schwangerer Frauen, deren Haut vor Spannung glänzte und Dehnungsstreifen zeigte, die pergamentartigen Brüste älterer Frauen mit Leberflecken und leichtem Flaum. Sie kannte Brüste mit rosigen, olivfarbenen und braunen Brustwarzen, Brustwarzen, die sich nach innen oder außen wölbten, winzig wie Centstücke, groß wie der ringförmige Abdruck einer Kaffeetasse. Sie kannte schwere Brüste bei dünnen Frauen und winzige bei fülligen. Brüste von 75 A bis 95 E und alle Größen dazwischen. Natürlich kannte sie auch die wulstig-rote Narbe, das höckerige Gewebe, das offenbarte, was der Chirurg gestohlen hatte.
Aber diese junge Israeli in engen Jeans und leicht abgenutzten Plateausandalen, aus denen fuchsiarote Zehennägel hervorlugten, besaß die schönsten Brüste, die Sima je gesehen hatte.
Sie war hingerissen vom Schwung der Nippel, von der zarten Haut, die sie umspannte. Der Geometrieunterricht in der achten Klasse fiel ihr ein: Man setzte die Spitze des Zirkels auf das Heft einer Freundin und zeichnete mit dem sorgfältig eingespannten Bleistiftstummel einen perfekten Freundschaftskreis. Sima war sicher, die Brüste dieser jungen Frau ergäben volle dreihundertsechzig Grad, wenn der Stift sie umrunden würde.
»Ich habe Ihnen ein paar zum Probieren herausgesucht«, sagte Sima, als sie zur Umkleidekabine ging. Das Mädchen stand in der Mitte, die Vorhänge - orangefarbener, an den Kanten angegrauter Stoff - halb zugezogen. Es war ein großer Raum, groß genug für fünf Frauen gleichzeitig, um zu begutachten und auszuwählen. Eine Bank auf einer Seite mit Haken darüber, ein rechteckiger Teppich (leicht ausgefranst, aus lavendelfarbener Wolle), ein breiter Spiegel, der an der Wand lehnte. In Simas Hand baumelten drei BHs in verschiedenen Beigetönen. »Was meinen Sie, welcher gefällt Ihnen?«
Das Mädchen warf einen misstrauischen Blick auf die BHs, hielt sich einen an - dichtes Material, hoch und breit geschnitten -, sodass sich ihre Brüste unter dem Satin abzeichneten, und betrachtete sich stirnrunzelnd im Spiegel. »Haben Sie irgendwas, das ein bisschen mehr sexy ist?«, fragte sie.
Sima zwang sich, die übliche Konversation fortzuführen. »Mögen Sie Spitze? Halbschalen?« Sie sah sich im Spiegel hinter dem Mädchen stehen - graues Haar, zu einem festen Knoten gebunden, rundlicher Körper ganz in Schwarz. Wie die alte Hexe im Märchen, dachte Sima, die einer jungen Schönheit Äpfel verkauft.
»Egal, solange es nur meinem Freund gefällt. Nicht, dass er es bemerken würde - Männer ziehen sie einem bloß gern aus, nicht?«
Sima lächelte. Jahre in dem Souterrainladen hatten sie gelehrt, ungezwungen über Männer herzuziehen. Wie gut kannte sie diese Blicke aus Verachtung und Enttäuschung, wenn ihre Kundinnen Mitleid füreinander ausdrückten und sich über ihre Männer beklagten: über deren Dummheit und Schäbigkeit, deren emotionale Kälte und Unfähigkeit, sich Geburtsund Hochzeitstage zu merken oder wann sie ihren Anzug aus der Reinigung abholen sollten.
»Mein Lev«, sagte Sima, »kann einen BH nicht vom anderen unterscheiden. Ich habe dieses Geschäft seit drei Jahrzehnten, und wir sind - wie lange? - sechsundvierzig Jahre verheiratet. Ich wette zehn Dollar, er könnte nicht mal sagen, wozu Formbügel gut sind.«
Das Mädchen lachte und entblößte dabei eine kleine Lücke zwischen den Vorderzähnen, was sie noch hübscher machte. »Sechsundvierzig Jahre sind eine lange Zeit. Mazel tov.«
Sima zuckte die Achseln. »Alle denken, lange verheiratet zu sein sei eine große Leistung. Ich will Ihnen was sagen, es ist das Leichteste auf der Welt. Wir haben jung geheiratet, und das war’s.« Sie machte eine energische Handbewegung, als würde sie Bettdecken glatt streichen. »Also«, fuhr Sima fort und griff nach den BHs, die sie gebracht hatte, »wie, sagten Sie, war Ihr Name?«
»Timna.«
»Timna, ich bringe Ihnen was Besonderes, ja? Damit ihm die Kinnlade runterfällt.«
Sima zog den Vorhang der Umkleide zu und ging hinter die Ladentheke. Drei Regale erstreckten sich über drei Meter, alle
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