Arcanum – Das Geheimnis
schwer zu treffen, doch keine Statistik konnte den Fall der Fälle vorhersagen, der irgendwann wieder eintreten würde, so sicher wie das Amen in der Kirche.
Er konzentrierte sich auf seine Arbeit, übertrug die Daten mit ein paar Kommentaren in eine Email und schickte sie an Steve auf dem Mauna Kea. Er würde am Telefon bleiben, da Steve die Angewohnheit hatte unmittelbar danach anzurufen und ihn mit Fragen zu löchern.
Wenige Minuten später klingelte es und Glenn nahm den altmodischen Hörer ans Ohr, der zu einem Telefon aus der Anfangszeit des Institutes gehörte und wie ein liebenswerter Anachronismus neben den modernen Computern, sterilen Büromöbeln und Regalen wirkte. Nach kurzem Zuhören begann er aufgeregt auf seiner Unterlippe zu kauen.
17.
Es war mehr als ungewöhnlich, dass ein ehemaliger Geologe des ExxonMobil Konzerns Kontakte zu einer Gruppe von Leuten pflegte, die nichts mehr hinterfragten als eine Welt, deren Reichtum sich seit Jahrzehnten auf ein schwarzes Meer gründete, das tief unter der Erdoberfläche über Jahrmillionen unangetastet ein unbedeutendes Schattendasein geführt hatte.
Peter Campbell war fünfundachtzig Jahre alt, topfit und in dritter Generation Amerikaner. Er joggte jeden Tag ohne Rücksicht auf die Witterung zehn Kilometer durch die Felder hinter seinem Haus in Houston, das er seit dem Tod seiner Frau alleine bewohnte. Seine Urgroßeltern waren aus einer armen Gegend Deutschlands mit dem für Amerikaner unaussprechlichen Namen Kampschulte in das gelobte Land jenseits des großen Teiches eingewandert. Ihre Überfahrt auf einem altersschwachen Frachtschiff war die Flucht vor dem sicheren Hungertod gewesen.
Sie hatten sich als Landarbeiter und auf den texanischen Ölfeldern einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet und ihre Kinder in Schulen geschickt, die ihnen einen besseren Start ins Leben ermöglichen sollten.
Die Ölindustrie, die in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch die Verbreitung des Automobils einen beispiellosen Boom erlebt hatte, schluckte durstig ganze Familien über mehrere Generationen, da es mehr Arbeit gab, als Fachkräfte zur Verfügung standen.
So war auch Peter in den massiv von den Erdölkonzernen indoktrinierten Schulen auf die neue Religion des grenzenlosen Kapitalismus auf der Basis billiger und unerschöpflicher Energie eingeschworen worden.
Man hatte in Amerika den schwarzen Sklaven durch eine schwarze, stinkende Brühe ersetzt, die effizienter war und zudem pausenlos verfügbar. Niemandem war heute mehr bewusst, dass die Bequemlichkeit des Lebens und der Reichtum des Landes darauf beruhten, dass rund hundert Ölsklaven für jeden Einwohner unermüdlich im Hintergrund ihren Dienst verrichteten.
Das fing morgens mit dem Anschalten der Kaffeemaschine an, mit der warmen Dusche, die ihren Wasserdruck aus Hochbehältern bezog, die in der Nacht von Sklave Pumpe mit frischem Wasser gefüllt worden waren. Der Sklave Heizung hatte für wohlige Wärme gesorgt, damit man das lustige Schneetreiben vor dem zugigen Panoramafenster des schlecht gedämmten Hauses in der Unterhose genießen konnte. Der Toaster erwärmte zum zweiten Mal ein Brot, das pro Scheibe bereits mehrere Liter Öl getrunken hatte auf dem Weg von einem künstlich bewässerten und gedüngten Feld über den durstigen Mähdrescher, hin zur Mühle, Bäckerei und per LKW zu den Supermärkten. Die Plastikverpackung, die der Mann in der Unterhose achtlos aufgerissen und weggeworfen hatte, war aus Öl und verschwand mit vielen Kameraden in einer Tonne aus Erdöl und schließlich in einem Müllauto, das sie kurze Zeit später abholte, um sich dafür einen kräftigen Schluck Diesel zu genehmigen. Der Durchschnittsamerikaner setzte sich dann ins Auto für die kurze oder viel zu lange Fahrt zur Arbeit, fuhr mit dem Lift in ein Stockwerk, das er zu Fuß erst am nächsten Tag erreicht hätte, und schaltete auf seinem kunstlichterhellten Schreibtisch seinen PC an, der sinnlose Informationen aus dem gierig Strom schluckenden Internet saugte.
Auch Peter Campbell hatte irgendwie geglaubt, dass es immer so weitergehen könnte, obwohl er als Geologe um die Endlichkeit der Ölvorkommen wusste. Die gigantischen Lagerstätten, die sie bis Mitte der sechziger Jahre entdeckten, erweckten den Eindruck, als hätte man noch unendlich lange Zeit, sich Gedanken für den Tag danach zu machen. Inzwischen verbrauchte die Welt soviel Erdöl in einem Jahr, wie die Natur in einer Million Jahren
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