Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der perfekte Dreh
Vom Netzwerk:
alten römisch-katholischen Familie entstamme und die Nazis aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso sehr hasse wie wir, habe als deutscher Seemann seine Pflicht als Mann und Offizier sein ganzes Leben hindurch ehrenhaft erfüllt. Ich konnte Deine Haltung nach wie vor nicht akzeptieren oder wollte es zumindest nicht.
    Es war nicht gerade hilfreich für mich, Vater, daß Du immer Verständnis für den Standpunkt des anderen aufbrachtest und, obgleich Mutter so früh wegen dieser Schweinehunde gestorben war, die Größe hattest, zu verzeihen.
    Als Christ wärst Du ein Heiliger gewesen.
    Der Rabbi legte den Brief nieder und rieb sich die müden Augen, bevor er eine weitere Seite mit den wohlgeformten Schriftzügen umschlug, die er seinen Sohn vor so vielen Jahren gelehrt hatte. Benjamin hatte immer leicht gelernt, ob es nun hebräische Schriften gewesen waren oder eine schwierige algebraische Gleichung. Der alte Mann hatte sogar zu hoffen begonnen, aus dem Jungen würde ein Rabbi werden.
    Erinnerst Du Dich noch, wie ich Dich an jenem Abend fragte, warum die Leute nicht einsehen könnten, daß die Welt sich verändert habe? Begriff das Mädchen denn nicht, daß sie nicht besser war als wir? Nie werde ich Deine Antwort vergessen. »Sie ist viel besser als wir«, sagtest Du, »falls die einzige Art und Weise, mit der du deine Überlegenheit beweisen kannst, darin besteht, ihrem Freund ins Gesicht zu schlagen.«
    Ärgerlich über Deine Schwäche, kehrte ich in mein Zimmer zurück. Es sollten Jahre vergehen, ehe ich verstand, daß gerade dies Deine Stärke war.
    Wenn ich mich nicht gerade auf der Bahn abrackerte, hatte ich selten Zeit für anderes, als an der Bewerbung um ein Stipendium an der McGill-Universität zu arbeiten; daher kam es überraschend, daß sich unsere Wege so bald wieder kreuzten.
    Es muß ungefähr eine Woche darauf gewesen sein, als ich sie im örtlichen Schwimmbad sah. Sie stand, als ich hereinkam, an der tieferen Seite des Beckens, unmittelbar unter dem Sprungbrett. Ihr langes blondes Haar tanzte auf ihren Schultern, und ihre hellen Augen registrierten begierig, was um sie herum vorging. Greg stand neben ihr. Mit Vergnügen stellte ich fest, daß für jedermann sichtbar unter seinem linken Auge ein dunkelvioletter Fleck zurückgeblieben war. Ich erinnere mich auch, daß ich innerlich grinsen mußte, denn sie hatte tatsächlich den flachsten Busen, den ich je bei einem sechzehnjährigen Mädchen gesehen hatte, obwohl ich zugeben muß, daß ihre Beine fantastisch waren. Vielleicht ist sie ein Zwitter, dachte ich. Ich machte kehrt und wollte zum Umkleideraum gehen – nur den Bruchteil einer Sekunde später landete ich im Wasser. Als ich auftauchte, um Luft zu holen, konnte ich nicht sehen, wer mich hineingestoßen hatte. Da waren nur grinsende, jedoch unschuldig dreinsehende Gesichter. Ich brauchte kein Juradiplom, um zu wissen, wer es gewesen sein mußte, aber, wie Du mir immer wieder eingeschärft hattest, Vater: »Ohne Zeugen kein Beweis« … Es hätte mir nicht so viel ausgemacht, ins Becken gestoßen zu werden, wenn ich nicht meinen besten Anzug angehabt hätte – vielmehr den einzigen Anzug mit langen Hosen, nämlich den ich trug, wenn ich zur Synagoge ging.
    Ich stieg aus dem Wasser, vergeudete aber keine Zeit damit, nach ihm Ausschau zu halten. Mir war klar, Greg würde mittlerweile auf und davon sein. Ich ging durch Seitengassen nach Hause und verzichtete darauf, den Bus zu nehmen, weil ich Angst hatte, jemand könnte mich sehen und Dir erzählen, in welchem Zustand ich war. Sobald ich zu Hause war, schlich ich an Deinem Arbeitszimmer vorbei hinauf in mein Zimmer und zog mir andere Sachen an, bevor Du Gelegenheit haben würdest, zu entdecken, was geschehen war.
    Der alte Isaac Cohen warf mir einen mißbilligenden Blick zu, als ich eine Stunde später in einem Blazer und Jeans in der Synagoge auftauchte.
    Am nächsten Morgen brachte ich den Anzug in die Reinigung. Daß Du nie erfahren hast, was sich an jenem Tag im Schwimmbad zutrug, kostete mich das Taschengeld für drei Wochen.
    Der Rabin nahm das Foto seines siebzehnjährigen Sohnes im Synagogenanzug in die Hand. Er konnte sich sehr gut daran erinnern, wie Benjamin zu seinem Gottesdienst in Blazer und Jeans erschienen war und wie Isaac Cohen ihn unverblümt getadelt hatte. Der Rabbi war dankbar, daß Mr. Atkins, der Schwimmlehrer, ihn angerufen hatte, um ihn vorzuwarnen, was an jenem bewußten Nachmittag geschehen war; so brauchte er Mr. Cohens

Weitere Kostenlose Bücher