Archer Jeffrey
verheirateten Frauen zu verfassen.
Die Bibliothek war an diesem Samstagabend fast leer und ich bereits an meiner dritten Seite angelangt, als ich eine Stimme sagen hörte: »Ich hoffe, ich störe dich nicht, aber du bist nicht zu ›Joe’s‹ gekommen.« Ich sah auf und erblickte Christina, die auf der anderen Seite des Tisches stand. Vater, ich wußte einfach nicht, was ich sagen sollte. Ich starrte das bezaubernde Wesen in seinem modischen blauen Minirock und dem enganliegenden Pullover, der die Rundungen eines perfekt geformten Busens nur noch betonte, einfach an und brachte kein Wort heraus.
»›Ich habe Jude‹ gerufen, damals, als du noch in der High School warst. Seither schäme ich mich deswegen. Ich wollte mich bei dir am Abend des Abschlußballs entschuldigen, brachte aber nicht den Mut auf, weil Greg dabei war.« Ich nickte verständnisvoll – mir fielen keine passenden Worte ein. »Ich habe nie wieder ein Wort mit ihm geredet«, sagte sie. »Aber wahrscheinlich erinnerst du dich nicht einmal mehr an Greg.«
Ich lächelte nur. »Wir wär’s mit einem Kaffee?« fragte ich und versuchte es so klingen zu lassen, als wäre es mir gleichgültig, wenn sie antworten sollte: »Es tut mir leid, aber ich muß zurück zu Bob.«
»Sehr gerne«, sagte sie.
Ich ging mit ihr in die Cafeteria der Bibliothek, was so ziemlich das einzige war, was ich mir leisten konnte. Sie hielt es nicht im geringsten für nötig, zu erklären, was aus Bob Richards geworden sei, und ich fragte sie nicht danach.
Christine schien dermaßen viel über mich zu wissen, daß es mir schon peinlich war. Sie bat mich, ihr zu verzeihen, was sie an jenem Tag vor zwei Jahren im Stadion gebrüllt hatte. Sie redete sich nicht heraus und gab auch niemandem sonst die Schuld.
Christina erzählte mir, sie hoffe, im September auch zur McGill-Universität zu stoßen, um im Hauptfach Deutsch zu studieren.
»Eigentlich ein starkes Stück«, gab sie zu, »da es ja schließlich meine Muttersprache ist.«
Wir verbrachten den Rest dieses Sommers zusammen. Wir sahen uns die »Heilige Johanna« noch einmal an und standen sogar Schlange für einen Film namens »Dr. No«, der damals der letzte Schrei war. Wir arbeiteten zusammen, wir aßen zusammen, wir spielten zusammen, aber wir schliefen nicht miteinander.
Ich habe Dir damals nur wenig von Christina erzählt, aber ich würde jede Wette eingehen, daß Du bereits wußtest, wie sehr ich sie liebte; vor Dir habe ich nie etwas verbergen können. Und nach Deinen vielen Predigten von Toleranz und so konntest Du es schwerlich mißbilligen.
Der Rabin hielt beim Lesen inne. Sein Herz war voll des Kummers, da er so viel von dem wußte, was noch folgen sollte, obwohl er nie hätte voraussagen können, welches Ende die Sache nehmen werde. Nie hätte er es für möglich gehalten, daß er in seinem Leben einmal seine strenggläubige Erziehung bereuen würde, aber als Mrs. Goldblatz ihm zum ersten Mal von Christina erzählt hatte, war er nicht imstande gewesen, sein Mißfallen zu verbergen. Das geht vorüber, hatte er ihr gesagt. Soviel zum Thema Weisheit.
Wenn ich Christina zu Hause besuchte, wurde ich immer höflich behandelt, ihre Familie war jedoch nicht imstande, ihr Mißfallen zu verbergen. Sie sagten Dinge, die sie selbst nicht glaubten, im Bemühen, zu zeigen, daß sie keine Antisemiten waren, und sooft ich das Thema Christina gegenüber berührte, sagte sie, ich sei da zu empfindlich. Wir wußten beide, daß dem nicht so war. Sie dachten ganz einfach, daß ich ihrer Tochter nicht würdig sei. Sie hatten recht, aber es hatte nichts damit zu tun, daß ich Jude war.
Ich werde nie vergessen, wie wir zum ersten Mal miteinander schliefen. Es geschah an jenem Tag, als Christina erfuhr, daß sie einen Platz an der McGill-Universität bekommen hatte.
Wir waren um drei Uhr auf mein Zimmer gegangen, um uns für ein Tennismatch umzuziehen. Ich nahm sie für einen, wie ich glaubte, kurzen Moment in die Arme, und wir trennten uns erst am nächsten Morgen. Nichts davon war geplant gewesen. Aber wie hätte es auch so sein können, wo es doch für uns beide das erste Mal war?
Ich sagte ihr, ich wolle sie heiraten – tun das nicht alle Männer beim ersten Mal? –, doch ich meinte es ernst.
Dann blieben, wenige Wochen später, ihre Tage aus. Ich flehte sie an, nicht in Panik zu geraten, und wir warteten alle beide noch einen weiteren Monat, da sie Angst davor hatte, zu irgendeinem Arzt in Montreal zu gehen.
Wenn ich Dir zu diesem
Weitere Kostenlose Bücher