Aristoteles: Grundwissen Philosophie
auf universelle empirische Fakten in der Welt beziehen. Wenn wir also in unserer Analyse mit einem universellen oder auch partikulären Satz etwa der Form AaB oder AiB starten, so muss es sich um einen Satz handeln, den wir für empirisch wahr halten – z. B. den Satz (a) »Geräusch (A) kommt allen Formen des Donners (B) zu« oder den Satz (b) »Eklipse (A) kommt einigen Mondstellungen (B) zu« (APo. II 8). Und wenn wir in unserer Analyse einen Mittelbegriff C für Prämissen [23] AaC und CaB bzw. AaC und CiB finden müssen, dann muss es sich ebenfalls um Sätze handeln, die wir für wahr halten, von denen wir also glauben, dass sie universelle oder partikuläre Fakten in der empirischen Welt beschreiben – und das zu entscheiden ist Sache empirischer wissenschaftlicher Forschung, nicht formaler logischer Beweise. Es gab, wie Aristoteles berichtet, zu seiner Zeit die Vorschläge, zu Satz (a) den Mittelbegriff C als »Erlöschen des Feuers in den Wolken« und zu Satz (b) als »Dazwischentreten der Sonne zwischen Erde und Mond« zu bestimmen. Damit wurde behauptet, es sei empirisch wahr, dass gilt: (c) Geräusch kommt allem Erlöschen von Feuer in den Wolken zu; (d) Erlöschen von Feuer kommt allen Formen des Donners zu; (e) Eklipse kommt jedem Dazwischentreten der Sonne zwischen Erde und Mond zu, und (f) Dazwischentreten der Sonne zwischen Erde und Mond kommt einigen Mondstellungen zu. Wenn wir die empirischen Sätze (c) bis (f) tatsächlich für wahr halten dürfen, dann haben wir (a) in (c) und (d) sowie (b) in (e) und (f) analysiert, denn (c), (d)(a) und (e), (f)(b) sind offensichtlich syllogistisch gültige Schlüsse.
Empirische Anwendungen von Analysen dieser Art machen verständlich, warum Aristoteles fordern muss, dass der erste Schritt bei der Etablierung einer angemessenen wissenschaftlichen Theorie darin besteht, universelle empirische Fakten festzustellen. Und wir haben ein empirisches universelles Faktum der Art AaB festgestellt, wenn wir so viele B-Dinge wie möglich empirisch untersucht und herausgefunden haben, dass jedes untersuchte B-Ding die Eigenschaft A hat. Die Aufzählung endlich vieler solcher Beispiele in einer Liste nennt Aristoteles »Anführung«; das ist seine Auffassung von »Induktion«. Eine induktive endliche Liste ohne Gegenbeispiel ist dann natürlich ein exzellenter Grund dafür, den universellen Satz AaB (»Alle B-Dinge sind A« oder »A kommt allen Bs zu«) für wahr zu halten (Aristoteles redet hier allerdings nicht von einem induktiven Schluss). Erst die Fakten, dann die Erklärung – das ist die Devise, die Aristoteles nicht müde wird zu [24] betonen (APo. II 1–2). So hat er auch selbst ein großes biologisches Werk verfasst, das eine reine Faktensammlung beinhaltet und sich aller Analysen und Erklärungen enthält – die
Historia Animalium
(die
Erkundung der Tiere
) in zehn Büchern.
Wenn für einen bestimmten Gegenstandsbereich möglichst viele Fakten gesammelt und mittels Induktionen in Behauptungen über universelle Fakten überführt worden sind, muss für den Aufbau einer guten Theorie in einem zweiten Schritt die Analyse und Synthese dieser Fakten erfolgen. Damit werden die Sätze über gefundene Fakten, wie beschrieben, in eine logische Ordnung gebracht. Es ist von großer Bedeutung, dass die Analyse grundsätzlich eine Bottom-up-Prozedur ist – von den Konklusionen hoch zu den Prämissen und gegebenenfalls zu den Prämissen der Prämissen, bis wir zu den unvermittelten Prämissen gelangen. (In der Syllogistik wurden die Zeilen formaler Beweise, wie in der heutigen Logik und Mathematik, vertikal von den höchsten Prämissen bis hinunter zur Konklusion geschrieben.) Diese Prozedur stellt kein logisches Verfahren dar, denn im Allgemeinen können wir nicht von den Konklusionen rein logisch auf die Prämissen schließen. Vielmehr handelt es sich um eine kreative Theorienkonstruktion. Allerdings unterliegt die Auffindung der Prämissen zu einem gegebenen universellen Satz der logischen Bedingung, dass diese Prämissen den gegebenen Satz logisch herzuleiten gestatten. Diese logische Herleitung wurde später auch Synthese genannt, weil sie den gegebenen Satz, etwa AaB, aus den Prämissen, etwa AaC und CaB, »zusammensetzt«, z. B. in der Form A(a) – AaC, CaB – B. Eine vollzogene Analyse enthält also bereits einen Teil der Synthese, die dadurch komplettiert wird, dass wir aus den gefundenen Prämissen möglichst viele weitere Konklusionen über die Ausgangssätze
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