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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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hinaus ableiten. Dadurch entsteht ein komplexes logisches Netz von empirisch akzeptierten Sätzen über die Welt.
    Aristoteles nennt den epistemischen Zustand, in dem wir uns befinden, wenn wir die Analyse für einen [25] Untersuchungsbereich abgeschlossen haben, Einsicht (
nous
) (Metaph. IX 10, An. III 6). Dieser epistemische Zustand beinhaltet u. a. die Kenntnis der höchsten unvermittelten Prämissen, die in der Analyse auftauchen (APo. I 23; I 33). Aber es wäre grundfalsch zu sagen, dass das Vermögen der Einsicht die Fähigkeit ist, unvermittelt die höchsten Prämissen zu erfassen, aus denen dann »top-down« alle Theoreme der Theorie logisch abgeleitet werden. Die Einsicht entsteht nicht am Beginn einer Synthese ohne vorherige Analyse, sondern am Ende von Analyse und Synthese. Man könnte sagen, dass am Ende von Analyse und Synthese die Theoreme einer Theorie
axiomatisiert
worden sind, denn sie sind in eine logische Ordnung gebracht. Aber es handelt sich nicht um eine Axiomatisierung im modernen Sinne, die mit der Idee verbunden ist, die Menge der obersten Prämissen möglichst klein zu halten und damit den gesamten Inhalt einer Theorie in wenigen Theoremen zu komprimieren. Eine analytische Axiomatisierung im aristotelischen Sinn wird ungefähr ebenso viele oberste Prämissen wie unterste Konklusionen enthalten (APo. I 32). Ihr Ziel ist nicht Komprimierung, sondern im Gegenteil analytische Entfaltung des Gehalts der komplexeren Theoreme, so dass wir durchschauen können, aus welchen Elementen unser Untersuchungsbereich besteht und wie er aus diesen Elementen zusammengesetzt ist. Die leitende Idee der klassischen antiken Philosophie zur allgemeinen Struktur des Wissens kommt in diesem Entwurf also voll zum Tragen und wird im Detail ausgearbeitet.
    Selbst eine vollständige und abgeschlossene Analyse und Synthese im bisher skizzierten Sinne bietet aber noch keine Erklärungen, denn sie verweist aus sich heraus noch nicht auf Ursachen. Zum Aufbau einer erklärungskräftigen Theorie ist jedoch auch die Erforschung der Ursachen erforderlich. Was sollen wir nun genauer unter Ursachen verstehen? Aristoteles entwickelt die historisch erste präzise Antwort auf diese Frage – die Theorie von den vier aristotelischen Ursachen. Wir dürfen allerdings aristotelische Ursachen nicht mit kausalen [26] Ursachen im modernen Sinne verwechseln. Die moderne Standardtheorie zum Ursachenbegriff beruht auf der Idee, dass Ursachen (a) früher als ihre Effekte sind, (b) hinreichende Bedingungen für ihre Effekte sind und (c) in naturgesetzlichen Beziehungen zu ihren Effekten stehen. Wenn wir eine Ursache und das entsprechende Naturgesetz kennen, können wir dieser Idee zufolge den Effekt vorhersagen.
    Aristotelische Ursachen erfüllen diese Bedingungen nicht. Beispielsweise ist (i) das Faktum, dass Statuen aus Bronze sind, eine aristotelische Ursache für das Faktum, dass diese Statuen schwer sind; oder (ii) das Faktum, dass die Erde zwischen der Sonne und dem Mond steht, ist eine aristotelische Ursache für eine Mondfinsternis; oder (iii) die Erhaltung der Gesundheit ist eine aristotelische Ursache für Spaziergänge nach dem Essen oder vergleichbare Maßnahmen zur Förderung der Verdauung; und schließlich ist (iv) das Faktum, dass die Saite einer Laute im Verhältnis 1:2 geteilt wird, eine aristotelische Ursache für die Erhöhung des Tons um eine Oktave. Diese aristotelischen Ursachen sind nicht früher als ihre Effekte, und sie sind notwendig für ihre Effekte. Wenn wir eine aristotelische Ursache kennen, können wir im Allgemeinen ihre Wirkung nicht vorhersagen; eher können wir aus Effekten auf aristotelische Ursachen schließen (APo. II 11–17). Aristoteles’ Kernidee ist, dass jeder Verweis auf die Ursache einer Wirkung die Frage beantworten muss, warum die Wirkung zustande gekommen ist. Und seine These ist, dass es vier verschiedene Arten von Antworten auf Warum-Fragen gibt: Die eine Antwort verweist auf das Material der betrachteten Dinge (wie in Fall (i)), eine zweite auf den Bewegungsursprung (wie in Fall (ii)), eine weitere auf das Ziel (wie in Fall (iii)) und eine vierte auf die formale Struktur (wie in Fall (iv)). Dementsprechend sind nach Aristoteles vier Arten von Ursachen auszumachen: die materiale, die effiziente, die finale und die formale Ursache (APo. II 11; Phys. II 3).
    Der Begriff der finalen Ursache ist von der Frühen Neuzeit an heftig kritisiert worden. Der wichtigste Einwand lautete, dass [27] finale

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