Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Carnevare.
Sie ärgerte sich, weil er sie so wortkarg abgespeist hatte. Familienangelegenheiten. Die hatte sie auch. Keine unkomplizierten.
Statt den Pass zurück in seine Jacke zu stecken, ließ sie ihn beim Verlassen der Maschine auf einen leeren Sitz am Ausstieg fallen. Sollte das Personal entscheiden, ob sie ihn zurückgaben. Nicht Rosas Problem.
Die Blicke der Stewardess brannten in ihrem Rücken, als Rosa die Gangway hinunterstieg. Sie blickte sich nicht um.
Familienangelegenheiten.
Sie fragte sich, ob Zoe einmal im Leben pünktlich sein würde.
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Die Milchglastüren zischten auseinander und gaben den Blick auf die Wartenden frei. Hinter der Absperrung standen Generationen sizilianischer Familien, mit verhutzelten Großmüttern in schwarzen Kleidern – Ich in achtzig Jahren , dachte Rosa verdrossen – und kleinen Schreihälsen mit Luftballons. Aufgetakelte junge Frauen, die auf ihre Ehemänner – oder Liebhaber – warteten. Eltern, die dem alljährlichen Besuch ihrer erwachsenen Kinder aus dem Norden entgegenfieberten. Anzugträger mit Sonnenbrillen und handgeschriebenen Namen auf Pappschildern.
Nur keine Zoe. Nirgends.
Rosa war die Erste, die in die Halle trat. Sie fragte sich einmal mehr, was die in Rom mit ihrem Koffer angestellt hatten. Dabei fiel ihr auf, dass sie den Zettel mit der Servicenummer verloren hatte. Schade, denn sie hatte aus Langeweile während des Fluges eine fantasievolle Liste mit Kleidungsstücken zusammengestellt.
Hitze empfing sie im Freien, sogar noch Anfang Oktober. Der Bereich vor dem Eingang war betonüberdacht, am Rand des Gehwegs parkten Taxis. Auf der anderen Seite der Straße befand sich ein niedriges Parkhaus. Durch seine Gitterstruktur konnte sie das Mittelmeer sehen, schäumende Gischt auf blauen Wellenkämmen. Der Flughafen Falcone e Borsellino, benannt nach zwei Richtern, die von der Mafia ermordet worden waren, lag auf einer Landspitze.
Auch hier keine Spur von Zoe.
Ihre Schwester war drei Jahre älter als sie, seit einem Monat zwanzig. Vor zwei Jahren war sie aus den Staaten hierher zurückgekehrt. Zoe war sieben gewesen, als ihr Vater Davide gestorben war und ihre Mutter sie gegen den Willen des Alcantara-Clans in die USA gebracht hatte. Im Gegensatz zu Rosa hatte Zoe sich noch an vieles erinnern können.An das alte Familienanwesen zwischen knorrigen Olivenbäumen und Feigenkakteen. An ihre Tante Florinda Alcantara, die Schwester ihres Vaters und heute das Oberhaupt der Familie.
Für Rosa war ihre Tante nur ein verwischter Fleck in der Erinnerung, noch unwirklicher als ihr Vater, und auch mit ihm verband sie nur Empfindungen, kaum klare Bilder.
Um sie wälzten sich Menschenströme in den Flughafen und wieder hinaus. Verloren stand sie in der brütenden Hitze, inmitten der Abgaswolken von Taxis und Bussen, ließ ihre Reisetasche mit beiden Händen vor den Knien baumeln und suchte in sich nach einem Gefühl von Heimkehr.
Nichts.
Eine Fremde zu sein wäre nichts Neues gewesen, damit kannte sie sich aus. Sie wunderte sich nur, dass sie so gar nichts spürte.
Links von ihr, hinter der Taxireihe, parkte ein Militärjeep, auf dem sich ein paar bewaffnete Soldaten langweilten. Sie hatte gehört, dass in Italien die Armee zur Unterstützung der Polizei eingesetzt wurde. Aber sie so offen dastehen zu sehen, die Maschinenpistolen wie Umhängetaschen über den Schultern, war ungewohnt. Einer der jungen Männer sah sie allein in der Sonne stehen und stieß einen anderen an. Die beiden Soldaten grinsten.
»Keine Sorge«, sagte eine vertraute Stimme hinter ihr, »die schießen nur auf Mafiosi.«
Alessandro Carnevare war mit einem schwarzen Rollkoffer zu ihr auf den Bürgersteig vor der Flughafenhalle getreten. Er musste seinen Pass zurückbekommen haben, sonst hätte er die Einreisekontrollen nicht so schnell hinter sich gebracht.
»Alessandro«, sagte er und streckte ihr eine Hand entgegen. Seine Finger waren jetzt nicht mehr verkrampft wie bei der Landung. Geschmeidig und kraftvoll.
»Rosa.«
»Holt dich jemand ab?«
»Meine Schwester. Falls sie’s nicht vergessen hat.«
»Wir können dich mitnehmen.«
»Wir?«
Er deutete auf eine schwarze Limousine, die in diesem Augenblick unweit des Eingangs anhielt. Rosa sah gerade noch ein auf den Asphalt gemaltes Parkverbots-Zeichen unter dem Wagen verschwinden. Niemand kümmerte sich darum. Die Soldaten kauten Kaugummi und warfen neugierige Blicke auf die blitzende Luxuskarosse. Erst die Motoren, dann die
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