Arktis-Plan
knapp unter dem Gefrierpunkt auf weit unter null absinken.
Es war ein angenehmer Herbstnachmittag auf Wednesday Island.
Der bleiche Sonnenball, der keine Wärme spendete, rollte am südlichen Horizont entlang und erfüllte die Welt mit dem eigentümlichen gräulichen Schimmer der wochenlangen arktischen Dämmerung.
Wenn man auf das Meer hinunterblickte, das die Insel umspülte, war es schwierig, das Land vom Wasser zu unterscheiden. Das Packeis rückte um Wednesday herum immer enger zusammen, und das neue lebendige Eis wölbte sich über die Küste und türmte sich wüst aufeinander. Die einzigen eisfreien dunklen Wasserrinnen, die zu sehen waren, lagen weit hinter den treibenden Eisbergen am Horizont und kämpften gegen den Frost des bevorstehenden Winters an.
Im Osten hatten die stürmischen Winde eine Schneeverwehung über das ferne Ende der Insel getrieben, und daher verschwamm
der zweite größere Berg zu einer unheilvollen dunklen Masse, die hinter einem zerfetzten Nebelvorhang nur ansatzweise zu erkennen war.
Die Aussicht war ein Blick in die Hölle mit still gelegten Öfen, doch die drei, die sie betrachteten, gehörten zu dem Menschenschlag, der solche Anblicke erfrischend findet.
Der Teamleiter warf seinen Kopf in den Nacken und forderte den Wind mit einem wilden Wolfsheulen heraus. »Da ich ihn als Erster bezwungen habe, beanspruche ich diesen Berg für mich und nenne ihn hiermit … Wie zum Teufel nennen wir ihn überhaupt?«
»Du warst als Erster oben, Ian«, hob die kleinste Gestalt unter den drei Bergsteigern hervor. Ihre Stimme wurde durch den Windschutz gedämpft. »Daher sollte er von Rechts wegen Mount Rutherford heißen.«
»Nein! Auf keinen Fall!«, protestierte das dritte Mitglied des Bergsteigerteams. »Unsere bezaubernde Miss Brown ist die erste Dame, die diesen gewaltigen Gipfel erklommen hat. Er sollte Mount Kayla heißen.«
»Das ist ganz reizend von dir, Stefan, aber mehr als einen Händedruck nach der Rückkehr in unsere Forschungsstation wird es dir trotzdem nicht eintragen.«
Ian Rutherford, der in Oxford Biologie studierte, lachte in sich hinein. »Vermutlich sollten wir uns darüber gar keine Sorgen machen. Ganz gleich, welchen Namen wir ihm geben, wir werden ihn ja doch weiterhin den Westgipfel nennen, wie wir es bisher immer getan haben.«
»Du leidest an übertriebenem Realismus, Ian.« Stefan Kropodkin von McGill’s kosmischem Strahlenforschungsprogramm grinste in den dicken Wollschal, der seine untere Gesichtshälfte bedeckte.
»Ich finde, im Moment können wir ein bisschen Realismus gut gebrauchen.« Kayla Brown studierte Geophysik an der Purdue
State University. »Wir sind bereits eine Stunde später dran als geplant, und Dr. Creston war ohnehin nicht gerade erfreut darüber, dass wir überhaupt hier raufgeklettert sind.«
»Noch so ein Mann, der keinen Sinn fürs Romantische hat«, brummte Kropodkin.
»Wir haben noch genug Zeit für ein paar Fotos«, erwiderte Rutherford und nahm seinen Rucksack ab. »Dagegen hat Cresty doch gewiss nichts einzuwenden.«
Sie sahen es, als sie sich behutsam einen Weg am Rand des winzigen Plateaus entlang bahnten. Die scharfen Augen der kleinen angehenden Geophysikerin aus Indiana entdeckten es zuerst.
»He, Leute, was ist denn das? Da unten auf dem Gletscher.«
Rutherford warf einen Blick auf den Sattel zwischen den Gipfeln hinunter. Da war etwas, kaum sichtbar durch den Schneeschleier. Er schob sich die dunkle Schutzbrille auf die Stirn und zog sein Fernglas aus dem Etui. Als er durch das Fernglas schaute, achtete er sorgsam darauf, das eisige Metall nicht mit seiner Gesichtshaut in Berührung zu bringen,.
»Schöne Scheiße! Da unten ist doch was!« Er reichte seinem Freund den Feldstecher. »Was hältst du davon, Stefan?«
Der Osteuropäer sah lange durch das Fernglas, ehe er es wieder sinken ließ. »Das ist ein Flugzeug«, sagte er verwundert, »ein Flugzeug auf dem Eis.«
Kapitel zwei
Huckleberry Ridge,
Trainingslager für Gebirgsjäger
Lieutenant Colonel Dr. med. Jonathan (»Jon«) Smith von der US Army stand mit dem Rücken zum Rand der Klippe und sah sich ein letztes Mal um.
Es war wunderschön hier oben. Von diesem Punkt aus konnte man nach Süden über die Westhänge der Cascade Range blicken, das Gestein der Berge war graublau, Schnee glitzerte weiß und die Laubwälder leuchteten grün. Dunstfetzen schwebten schützend über den tieferen Hängen, und der goldene Schimmer des Sonnenaufgangs strömte
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