Armageddon 2 - Das Menü
diesen Zwischenfall ebenfalls festgehalten, obwohl
er in Waughs Schilderung sechs Monate früher und in einem ande-
ren Restaurant stattfand. Merkwürdigerweise handelt es sich offen-
sichtlich um genau den gleichen Knochen.
Sir John Rimmer, Der unglaubliche Mr. Rune
Die Straße nach Graceland, der Elvis-Presley-Boulevard, ist
ungefähr so breit, wie sie lang ist. Sozusagen. Und sie ist nicht
mit besonders guten Vorsätzen gepflastert (was nicht heißen
soll, dass sie nicht vielleicht doch zur Hölle führt). Jedenfalls
wird sie nicht von Hunden verschmutzt, und Herumtreiber,
ob es nun tatsächlich welche sind oder ob sie sich nur bücken,
um offene Schnürsenkel zu verschlaufen, werden in Windesei-
le verscheucht. Wermut-Penner mit Papiertüten nehmen ihre
abendliche Flüssigmahlzeit nicht in dieser Ecke der Wälder
ein. Mit den Worten von Bobby the Z: »Es gibt keine Hintern
vor den Toren von Graceland.« Junge weibliche Verehrerin-
nen, die gekommen sind, um dem King zu huldigen, werden
eher unfreundlich begrüßt von den bewaffneten Milizionären
mit ihren Killerhunden, der so genannten Memphis-Mafia.
Doch dann, mit einer Plötzlichkeit, die alles umso schreckli-
cher machte, war das Undenkbare geschehen. Der King war
tot. Ein großes Chaos war ausgebrochen. Die vergoldeten Tore
standen weit offen, Füße trampelten über den geheiligten Ra-
sen. Polizeihubschrauber drehten ihre unregelmäßigen Kreise,
Flüstertüten geboten Ruhe. Die Straßen waren abgesperrt, Po-
lypen zückten ihre Schusswaffen, und die Sirenen der Ambu-
lanz stießen ihre untröstlichen Klagerufe aus. Die Nachricht
war bereits über die Sender gegangen. Eine Ära war zu Ende.
Elvis der Mensch war tot, doch Elvis die Legende war gerade
erst geboren.
Sam Maggott hat sich bis ins Epizentrum des Chaos vorgear-
beitet. Es ist das Auge des Hurrikans. Hier gibt es nichts außer
unwirklicher Stille und grässlicher Einsamkeit. Die Geburt ist
schon kein besonders würdevolles Ereignis, und der Tod erst
recht nicht. Ein fetter Mann liegt auf dem kalten gefliesten Bo-
den. Er trägt einen Pyjama, gelbes Oberteil, blaue Hosen. Er
hat die Knie bis fast ans Kinn angezogen. Er hat bereits ange-
fangen zu stinken. Sam schiebt seine Polizeimütze in den Nak-
ken und wischt sich mit dem Handrücken über die feuchte
Stirn. Hinter ihm rennen Leute rufend, weinend und streitend
durcheinander. Der Tote ist endlich ganz allein. Sam bückt
sich, um den Leichnam zu untersuchen. Er betastet den dicken
blauen Hals. Beinahe liebevoll streicht er über die aufgedun-
sene kalte Wange. Eine graue Kotelette löst sich unter seiner
Berührung und fällt auf die Fliesen. Sam ist fasziniert. Er starrt
benommen auf die Kotelette, dann hebt er sie auf und klebt sie
wieder auf die Wange. Verkehrt herum. Zu seinem Erstaunen
bemerkt Sam, dass der Verstorbene eine Perücke trägt. Sam
wird es nicht der Presse erzählen. Später wird er äußerst über-
rascht feststellen, dass es auch sonst niemand getan hat.
Unter den Klängen des unsterblichen Jimi Hendrix schwang
Jack Doveston seinen heruntergekommenen Oldsmobile auf
den Parkplatz der Miskatonic University. Er war voll. Die Wa-
gen der Studenten waren neuer und protziger. Die Studenten
waren pünktlich. Ein Fluch kam bereitwillig über Jacks Lip-
pen. Er stellte den durstigen Oldsmobile auf dem Grasstreifen
ab, klemmte das Pannenschild unter den Scheibenwischer,
knallte die rostübersäte Tür zu und stapfte missmutig davon.
Die Universität beeindruckte ihn jedes Mal aufs Neue. Wie
auch nicht. All diese gotischen Türmchen und Kuppeln. All
das gemarterte Mauerwerk, die kannelierten Säulen, die Was-
serspeier und Galerien, die Fenster mit ihrem Stabwerk und
den Groteskerien aus Bleiglas. Überwältigend. Und trotz alle-
dem gehörte Jacks Herz dem schwach beleuchteten Tiefge-
schoss unter dem eigentlichen Keller, und er hätte sich nichts
anderes vorstellen können. Jack ging um die Erhabenheit her-
um und eine Seitentreppe hinunter. Er verschaffte sich mit
seinem Hauptschlüssel Zutritt und wanderte durch staubige
Korridore in Richtung des Schoßes der großen Universität. Es
war definitiv der Schoß und nicht das Herz. Das Herz lag drei
Stockwerke darüber, der große Vorlesungssaal. Wenigstens
sah es Jacks Frau so. »Dein eigener kleiner Schoß, in den du
Tag für Tag durch die Hintertür gelangst.«
Die Räume mit den Büchern waren trocken und
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