Armeen Der Nacht
seinen Schwertknauf, während er einen Schritt zurückwich.
Inzwischen sagte Vis: »Ich würde sie nicht suchen, Soldat, wenn ich Ihr wäre. Aber wir helfen Euch so gut wir können, damit Ihr sie findet. Ja, bei allem, was unheilig ist, das tun wir!«
In ihrem Haus am Schimmelfohlenfluß, das sie mit Samtvorhängen neu ausgestattet hatte und hinter mannshohen Wildkräutern in ihrem >Garten< fast verbarg, hörte Roxane Schritte vor ihrem Fenster, die nicht von einem Untoten oder einer ihrer Schlangen in Menschengestalt stammten. Höchstpersönlich sah sie nach, wer der unerwartete Besucher war.
Dem Aussehen nach ein Nisibisi, ein Junge, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Vermutlich ein Freistätter mit einer Spur Nisibisiblut in den Adern.
Seine Seele war glatt und salbungsvoll über gewöhnlicher Gemeinheit — ohne Zweifel der Vertraute einer anderen Macht hier. Schutzzauber erstanden zwischen ihm und ihr, als er aus dem Dunkeln sagte: »Ich habe Euch jemanden gebracht, Madam. Eine kleine Aufmerksamkeit von Haught, für den Fall, daß Ihr am Ende triumphieren werdet.«
Dann war ein leichter Knall zu hören, und die Erscheinung war verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Haught! Sie würde sich daran erinnern.
Gerade, als sie sich umdrehte, rollten Kieselsteine, und ein Wiehern schnitt durch die Nacht. Sie blinzelte. Zweimal in einer Nacht waren ihre besten Schutzzauber wie Spinnweben zerrissen worden! Sie würde morgen die Runde machen und neue errichten müssen!
Dann konzentrierte sie sich auf das, was gar nicht weit entfernt war: ein Pferd, ohne Zweifel, und darauf eine Person — eine, die offenbar betäubt an den Sattel gebunden war.
Ein Geschenk von diesem Haught. Sie würde sich bei ihm bedanken müssen. Sie ging hinaus in ihren Garten aus Dornbüschen und Nachtschattengewächsen, hinunter zu den Mandragoren, die ihre giftigen Wurzeln am Ufer ausbreiteten.
Und dort, im schwachen Schein der verschmutzten Wellen, sah sie ihn.
Niko, betäubt oder betrunken — egal.
Sein Anblick zog ihr das Herz zusammen. Sie rannte drei Schritte, dann beruhigte sie sich. Er war hier, doch nicht aus freiem Willen!
Während ihre Finger einen sanften Zauber wirkten, tanzte sie fast auf ihn zu. Niko, ihr geliebter Niko, war das einzig Anständige in ihrem Universum des Bösen, und doch war er ihr Verhängnis. Der Beweis war sogleich erbracht, als sie ihn sah: Sie wollte ihm die Fesseln lösen, ihn heilen, ihn liebkosen. Wahrhaftig nicht die richtige Reaktion einer Hexe, schon gar nicht die richtige Reaktion der Todeskönigin. Sie hatte nach ihm geschickt, hatte sich des kleinen Zauberers Randal bedient, ihn herzulocken, aber sie wagte jetzt nicht, ihn zu nehmen, ihn zu benutzen. Nicht, wenn dieser Haught sie offenbar in Versuchung führen wollte.
Nicht, wenn Roxane sich im Kriegszustand befand, im Machtkampf mit der Totenbeschwörerin Ischade, dieser Kreatur der Nacht, der sie es ohne weiteres zutraute, daß sie diese Begegnung herbeigeführt hatte.
Während Niko weiterschlief, über den Hals seines Pferdes gebeugt, durchschnitt sie die Fesseln, die den Streiter an seinen Sattel banden, und sagte, ehe sie ihn fortschickte: »Nicht jetzt, mein Liebster. Noch nicht. Dein Gefährte Janni, dein geliebter Heiliger-Trupp-Bruder, ist Leibeigener der Nekromantin Ischade — er liegt in friedloser Erde und ist des Nachts gezwungen, ihren schrecklichen Halsreif zu tragen und ihre grauenvollen Befehle auszuführen. Du mußt ihn aus dieser unnatürlichen Sklaverei befreien, Geliebter, dann können wir zusammenkommen. Verstehst du mich, Niko?«
Niko hob den Kopf mit fahlem Gesicht und öffnete die Augen — sie standen noch im Bann des Schlafes und nahmen doch alles wahr, was sie sahen. Roxanes Herz schlug höher, sie liebte es, wenn sein Blick auf ihr ruhte, liebte die Berührung seines Atems, liebte den Geruch seiner Qual.
Ihre Finger zauberten: Er würde sich an diesen Augenblick als wahren Traum erinnern; als Traum, den sein Maat verstand und der alles sagte, was er wissen mußte.
Sie trat näher und küßte ihn. Ein Stöhnen entquoll seinen Lippen. Es war kaum mehr als ein Seufzen, doch es genügte als Zeichen für Roxane, die in seinem Herzen zu lesen vermochte. Sie wußte nun, daß Niko endlich zu ihr gekommen war —, aus freiem Willen, soweit gewöhnliche Sterbliche überhaupt einen freien Willen besaßen.
»Begib dich zu Ischade. Befreie Janni. Dann kommt beide zu mir, und ich werde euch beistehen.«
Sie
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