Armeen Der Nacht
Nisibisi-Renegat namens Vis, ein Mann, der Niko zumindest einen Gefallen schuldete und der vielleicht die Antwort auf die Frage wußte, die Niko am wichtigsten war: wo sich die Nisibisihexe aufhielt.
Jetzt sprach der zweite Schatten, an dessen Kleidung der betrunkene Bettler zupfte. Nikos Sicht wurde deutlicher. Sie zeigte ihm, daß bläuliche Funken um den größeren Schatten wirbelten und ihm so, trotz der mondlosen Dunkelheit, größere Festigkeit verliehen. »Moram, du Idiot! Steh auf! Was soll Moria sagen? Narr und Schlimmeres! Der Tod geht um! Werde nicht übermütig ...« Der Rest war ein Zischen der gesenkten Stimme. Aber Niko wußte bereits, wer dieser Mann war. Er hatte ihn sogar leichter erkannt als den ersten: Seine Stimme mit dem starken Akzent verriet ihm, daß er der ehemalige Sklave Haught war.
Die Hexe Ischade hatte Haught die Freiheit geschenkt. Und Niko hatte ihn schon lange zuvor vor einer hochnotpeinlichen Befragung durch Strat bewahrt. Strat, dem Oberinquisitor der Stiefsöhne, kam man besser nicht in die Quere. Er war so gut mit dem, was er tat, daß allein sein Ruf schon Zunge und Schließmuskeln löste.
Was Niko zu denken gab, war also nicht, daß diese Männer Fremde waren oder daß sie den Bettler zwischen sich hochhoben, um ihn durchs offene Tor zu tragen, zu dem Haus, hinter dessen hautbespannten Fenstern Licht brannte. Der Grund war, daß Haught, den Niko als verängstigten Jungen gekannt hatte, dessen Sklavenketten sogar seine Seele umspannten, jetzt mit größter Selbstsicherheit Befehle erteilte und daß er, aus seiner blauen Aura zu schließen, auf magische Fähigkeiten zurückgreifen konnte.
An Vis' Aura war nichts magisch, sie war vom Rot und Rosa großer Sorgen, in Schach gehaltener Leidenschaft — und Angst. Niko fühlte ihr Prickeln, als er sich beeilte, sie am Tor aufzuhalten. Er hatte sein Schwert gezogen und spürte, daß es sich in seiner Hand wärmte, wie immer, wenn Zauber in der Nähe war.
»Vis, er hat eine Waf...«
»Erinnert ihr euch an mich, Jungs?« fragte Niko und hielt die drei geschickt in Schach. »Keine falsche Bewegung, ich möchte nur mit euch reden.«
Vis' Hand lag an der Hüfte, und gewiß würde er rasch seine Klinge ziehen. Niko behielt ihn im Auge, obwohl er eigentlich in Haught den für ihn gefährlicheren Gegner sehen mußte.
Aber Haught stieß weder den Bettler (der winselte: »Was soll das, Haught? Was ist denn schon dabei, daß ich ein bißchen frische Luft schöpfe?«) gegen ihn, noch wirkte er einen Zauber. Er sagte nur: »Vor Jahren - der Kämpfer aus dem Norden, nicht wahr? O ja, ich erinnere mich an Euch. Und ich wette, jemand anders ebenfalls.«
Vis — er war zu angespannt, offenbar plante er etwas — unterbrach ihn. »Was wollt Ihr, Soldat? Geld? Wir geben es Euch. Und Arbeit für eine müßige Klinge, falls ... An Euch erinnern?« Vis trat einen Schritt näher und kniff die Augen zusammen — doch das spürte Niko mehr, als daß er es sah. »Stimmt! Ja, richtig! Ich weiß, wer Ihr seid. Wir schulden Euch einen Gefallen, nicht wahr? Weil Ihr uns vor Tempus' Henkersknechten gerettet habt. Kommt mit herein. Wir unterhalten uns drinnen.«
»Wenn«, warf Haught mit so weicher Stimme ein, daß Niko sich fragte, worauf er sich da einließ, »Ihr Eure Klinge in die Scheide steckt und unsere Einladung als das anerkennt, was sie ist — etwas Besonderes! Wenn Ihr kämpfen wollt, werden wir ohnehin weder Bronze noch Stahl benutzen.«
Niko schaute auf den Bettlerfreund, den die beiden zwischen sich hielten. »Ich brauche eure Gastfreundschaft nicht, nur eine Auskunft. Ich suche Roxane — und sagt nicht, ihr wüßtet nicht, wen ich meine.«
Haughts Lachen verriet Niko, daß er sich hier mehr eingehandelt hatte, als er eigentlich wollte. Es war so selbstsicher, so voll Spott und Erwartung, daß es Niko Schauder über den Rücken jagte. »Natürlich weiß ich, wen Ihr meint, ich und meine Gebieterin wissen es. Aber meint Ihr nicht, Kämpfer, daß Roxane inzwischen nach Euch sucht? Kommt mit hinein oder nicht, wartet hier oder geht weiter — was immer auch, sie wird Euch finden.«
Meine Gebieterin hatte Haught gesagt. Das konnte nur bedeuten, daß jemand anders ihm beigebracht hatte, was Niko an ihm sah — genug Magie, die ihm Macht gab, und nicht nur Schein war; also echte Magie, keine Gauklertricks, wie man sie jetzt in Freistatts drittklassiger Magiergilde fand.
Niko schüttelte den Kopf, und seine Hand legte sich unwillkürlich auf
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