Arminius
Grendel. Ist das die Rache für deinen Bruder, den ich damals erschlagen habe?«
»Sollen wir ihn zur Rechenschaft ziehen, König?«, fragte Nehalenia.
Aber Arminius schüttelte nur den Kopf. »Jedem seine Hölle. Lasst ihn! Wie muss es ihn vergiftet haben, wenn er über zehn Jahre auf den Augenblick gewartet hat, Rache zu üben. Sie wird ihn nicht befreien, sie nahm ihm ja bereits das Leben.« Plötzlich blickte er sehr traurig, weil er die Welt nicht mehr verstand. »Was haben sich die Parzen bloß dabei gedacht? Ich habe in so vielen Schlachten gekämpft, war so oft dem Tod ausgesetzt, und dann sterbe ich durch Gift, anstatt durch einen Schwerthieb. Seltsam, nicht wahr, Nehalenia?« Er schwieg und dachte nach. Dann ergriff er Nehalenias Hand. »Viel wichtiger ist es, Vorkehrungen zu treffen. Was wird sein? Was können wir tun? Rufe Gerwulf, den Sachsen, und Randulf, den Semnonen. Sie sollen sich beeilen, viel Leben steckt nicht mehr in mir.«
Boten jagten über das Land. Zwei Tage später standen die beiden Fürsten vor ihm. Auf seinem Bett saßen Nehalenia und Lenia und hielten seine Hände. Den ganzen Tag über blieb es diesig, es gelang der Sonne nicht, durch die Wolken zu brechen. Lenia, die kaum verstand, worum es ging, hielt nur mit Mühe die Tränen zurück, die sie zu überfluten drohten.
Arminius konnte nur noch flüstern. Das Gift verbrannte sein Inneres, Zelle für Zelle. »Hört, meine Freunde, ihr müsst mir den letzten Dienst erweisen. Führt ihn treu aus, sonst kehre ich selbst aus Tyrwal zurück, um euch zu bestrafen!«
»Hattest du je Grund, mein König, an uns zu zweifeln?«
»Nein, deshalb seid ihr auch hier, meine Freunde. Aber hört genau zu. Ich, Arminius, befehle euch, gemeinsam mit der weisen Frau dort dafür zu sorgen, dass meine Tochter Lenia eines Tages in alle meine Rechte eintritt. Sie ist meine Erbin, sie ist die Königin!« Dann verstummte er. Sein Geist verabschiedete sich in eine andere Welt, wenngleich er noch einmal zu reden begann, unverständlich den Menschen, klar für Nehalenia.
»Wo ist Elda? Versorgt sie noch das Vieh? Warum ist sie nicht da? Ich will mich doch noch von ihr verabschieden.«
Nehalenia streichelte seine Hand. »Sei ruhig. Sie erwartet dich.«
»Wo?«
»Dort, wo du jetzt hingehst.« Ein sanftes, kindliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, das nur das reine, das vollständige Glück erzeugen konnte. »Ja, du hast recht, jetzt sehe ich sie. Seltsam, je deutlicher ich meine Frau erkenne, umso verschwommener werdet ihr. Aber wo ist mein Sohn?«
»Er ist nicht da, wo sie ist.«
»Er ist nicht da, wo sie ist?« Noch einmal, vielleicht ein letztes Mal wurde seine Miene unwillig. »Wo ist er dann?« Arminius zitterte und hatte große Angst, weil er wusste, dass er nicht mehr die Kraft haben würde, ihn zu befreien.
Doch Nehalenia strich sanft mit ihren alten Händen über seine verkrampften Gesichtsmuskeln. »Eines Tages kehrt er zurück und wird der König sein. Dein Bruder kümmert sich um ihn.«
»Germir?«
»Ja, Ergimer!«
»Ergimer? Wie gut das klingt. Bin ich das?«
»Ja.«
»Und mein Sohn ist bei meinem Bruder? Der gute Germir, er hat mir so oft das Leben gerettet, er wird auch gut auf meinen Sohn aufpassen. Was soll ich jetzt tun, Nehalenia?«
»Nichts mehr, deine Frau wartet, Elda wartet.«
»Ja, Elda. Aber diesmal bin ich der Cherusker, und du bist der Römer!« Dann blieb sein Atem stehen.
*
Nachsatz: Nicht wissend, dass der vermeintliche Sohn des Flavus das Kind der Elda und des Arminius war, ließen die Römer den jungen Mann, der Ithalicus hieß, zu den Cheruskern zurückkehren. Diese machten ihn zu ihrem König. Lenia aber heiratete den Sohn des Gerwulf und wurde die erste Königin der Sachsen.
Was Arminius nicht wissen konnte, war, dass zur gleichen Zeit Germanicus, der sich tatsächlich in den Osten begeben hatte, auf seinem Krankenbette in Syrien lag und vor Schmerzen halb irre schrie, dass Tiberius ihn vergiftet habe. Niemand weiß, ob Fieber oder Gift dem jungen Imperator das Leben entwanden. Bewiesen ist nur, dass Tiberius die Ehefrau des Germanicus, Agrippina, später im Kerker erdrosseln ließ, aber das ist bereits eine andere Geschichte …
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