"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
entscheidenden Schritt weiter zu gehen. Ich sehe mich schon wieder in der Psychologenpraxis auf einen Ledersessel gefläzt, mein Therapeut sitzt mir aufrecht gegenüber und hat die Fingerspitzen zusammengelegt. Ich weiß, was ich sagen werde. Ich höre seine Antworten. Ich weiß, dass er recht hat, und ich weiß sogar, woran es liegt, dass ich wieder beim Therapeuten sitze. Wir haben all meine Verletzungen immer wieder ausgeleuchtet. Aber hat mich
das dem hehren Ziel einer jeden Therapie auch nur ein Stück näher gebracht? Mich anzunehmen mit all meinen Schwächen und Fehlern? Mich selbst zu lieben?
Wie soll ich mich auch mögen? Ich bin ganz und gar nicht okay – so, wie ich bin. Ich laviere mich durchs Leben. Bin träge, ängstlich und missmutig und lasse mich furchtbar gehen. Versinke in jämmerlichem Selbstmitleid, obwohl das Leben es wirklich gut gemeint hat mit mir. Mit 47 sollte man kein Magenfeeling mehr haben, sondern aufrecht und selbstbewusst durchs Leben gehen. Ich müsste einfach die lähmende Trägheit überwinden, dann würde es mir besser gehen. Aber wie?
Ordnung schaffen
Ich saniere meine kleine marode Firma
Hausputz wäre schon mal ein guter Anfang. Das trübe Kreisen um mich selbst bleiben lassen und Ordnung schaffen. Leere und Einsamkeit ignorieren und einfach mal Dinge in Angriff nehmen, die mir guttun. Ein paar Kilo abnehmen, Sport treiben, das Rauchen aufgeben, weniger saufen … Mir fällt eine Menge ein, während ich die leeren Flaschen in Plastiktüten packe und das Schmutzgeschirr in die Spülmaschine räume. Therapeutisches Putzen. Ich nehme sämtliche Bücher und CDs aus den Regalen, um den Staub abzuwischen. Hole ein neues Bier aus dem Kühlschrank, zünde mir eine Zigarette an. Mein Elan ist verpufft. Morgen werde ich das alles wieder einräumen. Oder wird der ganze Krempel in zwei Wochen da immer noch auf dem Boden liegen? Ich bin bisher noch jedes Mal gescheitert, wenn ich mein Leben ändern wollte.
Ich habe so oft erfolglos versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, dass Kollegen und Freunde inzwischen nur noch lachen, wenn ich einen neuen Versuch ankündige.
Ich melde mich im Fitnesscenter an, gehe da dreimal hin – und dann versandet mein Vorhaben schlicht. Oder ich mache Hausputz und wenig später ist alles wieder versifft. Die Post hat gerade einen Brief von der Her Majesty’s Inland Revenue gebracht, der britischen Steuerbehörde. Ich lege ihn ungeöffnet zu dem Stapel auf dem Tisch – ich weiß sowieso, was drinsteht.
Ich bräuchte keine Therapie, sondern einen Tritt in den Hintern. Keinen Psychologen, der über Bedürfnisse redet und in alten Wunden und Befindlichkeiten rührt, sondern einen Drillsergeanten, der mich im Laufschritt um den Platz jagt und mich antreibt, meine Steuererklärung zu machen. Ob ich nun stöhne und fluche und manchmal auch den Tränen nahe bin, weil ich nicht mehr weiterkann – aber am Ende werde ich auch verflucht stolz sein, dass ich das durchgestanden habe. Und mein Ausbilder wird mir zum ersten Mal stumm und anerkennend die Hand schütteln, weil ich jetzt dazugehöre. Jetzt aber blicken seine kalten Augen voller Verachtung unter dem Barett auf diese jämmerliche Gestalt in seiner Müllhalde. Drei Zimmer mit Dachterrasse in London-Hampstead – eine Traumwohnung. Ein Platz, an dem man sich wohlfühlt. Und ich lasse sie verkommen und verdrecken und tue mir leid.
Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Ich könnte eine achtspurige Autobahn damit bauen.
Also keine Vorsätze mehr, mein Leben zu ändern. Kein »Ich sollte mal« oder »Ich werde ab morgen« … nicht mehr rauchen, weniger Alkohol trinken, mich gesund ernähren, mal wieder Sport treiben, ein gutes Buch lesen,
Geld sparen usw. … Nicht ein einziges von diesen Dingen »nie mehr« oder »für immer« – sondern alles auf einmal für vier Wochen. Kurz und schmerzhaft. Mein Leben so randvoll packen mit Aktivität, dass ich zum Grübeln nicht mehr komme. Meine Gefühle in dieser Zeit komplett ignorieren. All die Fragen, auf die ich seit 25 Jahren schon vergeblich Antworten suche: Was ich will, wohin ich will, wie ich glücklich werde und wie’s mit der Liebe klappt. Was ich gerade nicht ändern kann, vergesse ich einfach. Konzentriere meine Energie auf doe ganz pragmatischen Probleme. Dass ich acht Kilo Übergewicht habe, mein Konto ständig überzogen und meine Garderobe eine Altkleiderdeponie ist. Ich den Haushalt nicht im Griff habe und meine Abende mit
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