"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
betrogen hatte. Ich begriff, dass dies alles sehr viel mehr mit mir als mit der Frau meines Herzens zu tun hatte.
Dennoch hinderte mich meine Erkenntnis nicht, solche kräftezehrenden Liebesdramen nebst therapeutischer Aufarbeitung im Laufe der kommenden zehn Jahre noch mehrfach zu inszenieren – mit gesteigerter Intensität,
versteht sich. Und es wundert mich heute schon sehr, dass nicht eine oder einer meiner Therapeuten mal gesagt hat: »Finden Sie nicht, dass es langsam mal Zeit wäre, erwachsen zu werden?« Stattdessen haben wir nach den Ursachen meines selbstzerstörerischen Verhaltens geforscht. Haben in meiner Kindheit und frühen Jugend und in meinem Elternhaus gesucht – und sind fündig geworden. Ich lüge und betrüge, weil ich Liebe und Anerkennung suche – sehr verkürzt gesagt. Aber wir hatten ja damals auch 25 Therapiestunden Zeit.
Meine Freunde dagegen sagten es mir in aller Deutlichkeit: Dass ich unreif und rücksichtslos auf den Gefühlen anderer herumtrampelte und mich nicht wundern müsse, dafür die Quittung zu bekommen. Aber das wollte ich nicht hören. Ich war schon zu süchtig nach meinem wöchentlichen Seelenbad. Und so sehr es mich deprimierte, dass der einzige Mensch, der mich noch ernst nahm und mir zuhörte, dafür bezahlt wurde, so hatte ich gleichzeitig regelrechte Panik vor dem Moment, in dem meine Krankenversicherung keine weiteren Stunden mehr bezahlen würde.
Ich wäre eher aufgewacht, wenn Therapeuten mir klare Grenzen gezeigt hätten, mir nicht alles hätten durchgehen lassen. Wenn mal eine oder einer von ihnen gesagt hätte: »Es reicht, Herr Senzel!« So wie der englische Psychologe, der seine Patientin rauswarf, weil sie sich nicht scheiden ließ. In dieser Zuspitzung machte diese Geschichte Schlagzeilen in der Boulevardpresse. Dabei hat er im Grunde sehr verantwortlich gehandelt, als er sagte:
»Sie wissen seit 20 Therapiestunden, dass Ihre kaputte Ehe Sie unglücklich macht. Wenn Sie keine Konsequenzen ziehen, kann ich Ihnen auch nicht helfen.« Immerhin hat er sich so selbst eine sichere Einkommensquelle verschlossen. Das hat mir imponiert.
Zeitweise war die Sitzung beim Therapeuten der Höhepunkt meiner Woche. Sie brachte ein Stück Licht in das dunkle Chaos meines Lebens und vermittelte mir das Gefühl, doch eigentlich ganz in Ordnung zu sein, so, wie ich war. Dabei war ich ein Kind – ein fast 40-jähriges. Mogelte mich durchs Leben, entzog mich jeder Verantwortung und betrachtete die Welt als meinen Spielplatz. Manchmal machte ich ein Spielzeug kaputt – und dann heulte ich und tat mir leid. »Warum sind Sie eigentlich immer so gnadenlos zu sich selbst?!«, fragte eine meiner Therapeutinnen des Öfteren. Die Therapie trug mich auf dieser warmen Woge des Verstehens und Verstandenwerdens. Ich freute mich schon Tage vorher auf die Bühne, die sie mir bot, überlegte, was mir wichtig war, was ich unbedingt loswerden wollte – und wie ich es am geschicktesten in diese exakt 60 Minuten hineinpacken könnte. Und jedes Mal endete die Stunde mit dem Versprechen meines Therapeuten: »Ja – ich denke, das sollten wir nächstes Mal vertiefen …«
Tatsächlich hat mich die Therapie mehr und mehr geschwächt, das Wühlen in alten Wunden viel Kraft gekostet. Jede Niederlage und Enttäuschung wurde zum großen Lebensthema – statt einfach mal die Zähne zusammenzubeißen und es wegzustecken, weil Verletzungen und Niederlagen zum Leben nun mal dazugehören.
»Sie sind auch liebenswert, wenn Sie schwach sind«, sagten meine Therapeuten immer. Das mag sein. Aber es wäre mir lieber gewesen, sie hätten mir einen Weg gezeigt, wie man stark wird. Tatsächlich hat mich die Therapie mehr und mehr geschwächt, das Wuehlen in alten Wunden und vergangenen Niederlagen viel Kraft gekostet. Jede Niederlage und Enttäuschung wurde zum großen Lebensthema – statt einfach mal die Zähne zusammenzubeißen und es wegzustecken, weil Verletzungen und Niederlagen zum Leben nun mal dazugehören.
Immer tiefer in die Depression
Ich habe nie verstanden, was damals geschehen ist, als ich immer tiefer in die Depression gerutscht und irgendwann zusammengebrochen bin. Als habe jemand mein Hirn neu verschaltet. Plötzlich fand ich nicht mehr vom Funkhaus nach Hause. Irrte stundenlang mit wachsender Verzweiflung durch die Stadt, obwohl ich die Strecke seit Jahren jeden Tag fuhr. An der Supermarktkasse überfiel mich aus dem Nichts die große Panik, ich musste fliehen. Ich vergoss Tränen
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