In Hadam wartet der Henker
PROLOG IN LOGGHARD:
Der breitschultrige, hochgewachsene Krieger fuhr mit seiner Pranke durch seine silbergraue Mähne. Auf dem Oberkommandierenden von Logghard lasteten schwere Gedanken. Zu viele Fragen bedrängten ihn. Auf keine dieser Fragen hatte er bisher eine Antwort erhalten. Gamhed der Silberne murmelte wütend:
» Erst eineinhalb Monde ist der Sommer alt. Und noch immer ist Logghard in Gefahr. Vielleicht in größerer Gefahr als damals! «
Schon als vor rund einer Generation von Luxons Vater als Kommandierender eingesetzt wurde, war Logghard umkämpft. Zweieinhalb Monde aber war es erst her, seit die große Schlacht geschlagen worden war. Zerstörung hatte Logghard heimgesucht, und die Chronik war eine einzige Aufzählung der größten und ausgesuchtesten Schrecken. Die Dunklen Mächte schienen am zweihundertfünfzigsten Jahrestag der Belagerung endgültig zurückgeschlagen worden zu sein, aber die Drohung, die über der Stadt hing, blieb unverändert.
» Sie bringen Luxon um! « stöhnte Gamhed auf.
Shallad Rhiad war Luxons Vater. Daß Luxon die Wahrheit gesprochen hatte – daran zweifelte Gamhed keinen Herzschlag lang. Es war ihm leichtgefallen, Luxon als neuen Shallad oder als Anwärter auf den Thron des Herrschers über das Shalladad anzuerkennen. Der Schmerz darüber, daß Luxon vielleicht gerade in dieser Stunde starb, hingerichtet von Hadamurs Schergen, nistete tief in seinem Herzen.
Selbst der Umstand, daß die Sonne über Logghard schien, vermochte den Silbernen nicht von seinen düsteren Gedanken abzubringen. Auch die Bilder, die Gamhed an jeder beliebigen Stelle der riesigen Stadt sehen konnte, wirkten nicht im geringsten aufmunternd. Luxon war tot! Vermutlich hatten sie schon jetzt seinen Kopf vom Körper getrennt. Vermutlich rieb sich Hadamur angesichts dieser Hinrichtung seine fetten Finger, die vor kostbaren Ringen förmlich strotzten.
Überall wurde in Logghard gebaut. Man schleppte Trümmer weg, beseitigte die letzten Spuren der Kämpfe und der Zerstörungen, und die wärmenden Strahlen der Sonne brachten saftiges Grün an Stellen zum Vorschein, wo es seit Menschenaltern nicht gesehen worden war.
» Was kann ich tun? « fragte sich der Silberne laut. Es klang wie ein Stöhnen, fast wie ein Aufschrei.
Gamhed gab sich selbst die Antwort. Mit brüchiger Stimme stieß er hervor:
» Nichts! «
Über dem Grabmal des Lichtboten erstrahlte die Neue Flamme. Um ihren Sockel gruppierten sich die Gräber der Shallad-Reinkarnationen, wie seit undenklich lang zurückliegenden Zeiten.
Die Großen hatten seit zweieinhalb Monden in ihrer Bedeutung und in ihrer Macht drastisch abgenommen. Die Größten oder Erleuchteten waren fast ohne Einfluß. Gamhed begrüßte diese Entwicklung ebenso wie den Umstand, daß auch die weitverzweigte Organisation der Großen sich auflöste. Einige der Großen Stummen hüteten das Grabmal des Lichtboten. Dort waren sie gut aufgehoben und störten oder belästigten niemanden.
Wenn Gamhed an Luxon dachte, blieb es nicht aus, daß das Bild Mythors vor seinem inneren Auge erschien.
Ebenso wie Luxon war auch Mythor verschwunden, ausgelöscht oder von Dämonen verschleppt – niemand wußte es, niemand ahnte etwas über sein Schicksal.
Seit er mit der Goldenen Galeere verschwunden war, hatte niemand innerhalb des siebten Walles auch nur ein Gerücht über ihn gehört.
Aber es gab genügend Menschen, die hofften oder sogar daran glaubten, daß die Neue Flamme ihn zurück nach Logghard führen würde.
Gamhed stand auf und schüttelte sich, als könne er seine schwarzen Gedanken dadurch verscheuchen.
Es half nichts. Er mußte sich der Wahrheit beugen.
Auf dem Richtplatz von Hadam wurde in diesen Stunden das Urteil an Luxon vollstreckt. Wenn Luxon starb, und es war sicher, daß er getötet wurde, dann würde auch Logghard gegen Hadamur nicht mehr länger zu halten sein. Der alte Shallad, dieser Mörder und Betrüger und Ausbeuter der Völker, würde weiterhin herrschen. Sein Despotismus, bekannt bis weit über die Grenzen des Shalladad, würde seine gierigen Finger auch nach Logghard ausstrecken. Alles wäre vergeblich gewesen.
Schweigend und regungslos ließ der Silberne seine Augen über die Stadt schweifen, die zu neuem, hellem Leben erfüllt war. Natürlich hatte er alles versucht, was in seiner Macht stand, um Luxon zu helfen. Es war herzlich wenig – und ob einer seiner Pläne Erfolg haben würde, war fraglich.
Er selbst glaubte auch nicht daran.
Der
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