Ascalon – Das magische Pferd, Band 1: Ascalon – Das magische Pferd. Die Wächter des Schicksals (German Edition)
und Andrea erzählen.«
»Was für ein Wirbelwind.« Kopfschüttelnd schaute Renata Vollmer ihrer jüngsten Tochter nach.
»Was für eine Nervensäge.« Muriel seufzte. Dann ging sie zu ihrer Mutter, schloss sie in die Arme und sagte: »Danke für alles.«
»Oh, das habe ich doch gern gemacht.« Ihre Mutter löste sich lachend aus der Umarmung. »Du weißt doch, dass ich ein großes Herz für Pferde habe. So ein prächtiges Tier darf einfach nicht eingeschläfert werden.« Sie zwinkerte Muriel zu: »Schon gar nicht, wenn meine älteste Tochter einen Narren daran gefressen hat. Trotzdem wundert es mich …«, sie machte eine Pause, » … dass die Chevalier sich so plötzlich anders entschieden hat. Die ganze Zeit ging es ihr nur darum, das Pferd noch möglichst teuer zu verkaufen, und nun war der Kaufpreis plötzlich kein Thema mehr. Ich muss schon sagen, das ist mal eine wirklich überraschende Fügung des Schicksals.«
»Findest du?« Muriel gab sich große Mühe, unbeteiligt zu klingen. Natürlich war der Sinneswandel kein Zufall und natürlich hatte das Schicksal die Hand im Spiel … Wenn sie gewollt hätte, hätte sie ihrer Mutter alles erklären können.
Aber das würde sie nicht tun. Dieses Mysterium behielt sie lieber für sich.
Das Referat
»Guten Morgen.«
»Gu-ten Mor-gen, Frau Mar-to-ni.«
Im gewohnt auf- und abschwellenden Singsang begrüßte die Klasse 7b des Willenberger Gymnasiums ihre Geschichtslehrerin am frühen Montagmorgen.
Frau Martoni lächelte und stellte ihre Tasche ab.
»So«, sagte sie gedehnt und blickte gewichtig über den Rand ihrer Brille hinweg in die Runde. »Heute ist, wie ihr wisst, der Tag der mündlichen Referate. Alle, die in der Ausarbeitung über die Inquisition eine Fünf oder Sechs geschrieben haben – und das waren ja einige –, haben heute die Möglichkeit, ihre Zensur durch einen kleinen Vortrag über das Leben im Mittelalter zu verbessern.« Sie machte eine kurze Pause, schaute die Kinder nacheinander an und fuhr dann fort: »Gibt es Freiwillige, die diese Gelegenheit wahrnehmen möchten? Oder soll ich abfragen?«
Eine Weile geschah nichts. Einige Schüler tauschten verschämte Blicke, andere sahen aus dem Fenster und wieder andere beschäftigten sich geflissentlich mit dem Inhalt ihrer Federtaschen.
»Niemand?«, hakte Frau Martoni nach.
»Ich würde es gern versuchen.« Zögernd hob Muriel den Arm.
»Ah, Muriel.« Frau Martoni lächelte. »Das freut mich. Dann komm doch nach vorn und erzähle der Klasse, was du herausgefunden hast.«
Muriel stand auf. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Irgendwie scharrte ihr Stuhl viel lauter als sonst über den Fußboden. Die Klasse war viel stiller und der Gang zwischen den Tischen viel länger, als noch vor ein paar Minuten. Alle starrten sie an …
Die Augen fest auf die Tafel gerichtet, ging sie nach vorn.
»Streberin!«
Das war Timo. Er flüsterte gerade so laut, dass Muriel es mitbekam, ohne dass Frau Martoni es hörte.
Blödmann.
Muriel tat, als hätte sie ihn nicht gehört.
»Nun, Muriel?«, fragte Frau Martoni, als sie vor ihr stand. »Worüber willst du uns denn etwas erzählen?«
»Über eine wahre Begebenheit aus Willenberg am Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts.« Muriel sprach so leise, dass Nadine in der hintersten Reihe es sicher nicht verstanden hatte.
»Ah, Willenberg. Wunderbar.« Frau Martoni schien begeistert. »Unser Städtchen ist fast achthundert Jahre alt. Da hast du dich sicher durchs Stadtarchiv gearbeitet.«
»So ungefähr.«
»Gut, gut. Da bin ich sehr gespannt. Und deine Klassenkameraden sicher auch.« Frau Martoni rückte ihre Brille zurecht, nahm ihr Notenheft aus der Tasche und setzte sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch.
»Du kannst anfangen.«
Wie still es ist, dachte Muriel. Bestimmt können alle meinen rasenden Herzschlag hören. Dann holte sie noch einmal tief Luft und sagte: »Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts war Willenberg fast noch ein Dorf, das von kleinen Feldern und viel Wald umgeben war. Die Einwohner waren zumeist Handwerker, einfache Leute, die überwiegend arm waren, weil sie ihrem Lehnsherren hohe Abgaben zahlen mussten und selbst meist nur wenig zum Leben hatten. Die Kirche stand damals schon am Marktplatz, hatte aber statt der heutigen Pfannen Holzschindeln auf dem Dach. Auch die Mühle an der Wille war damals schon gebaut. Das Rathaus sieht heute noch fast so aus wie damals. Die anderen alten Fachwerkhäuser rund um den Marktplatz stehen
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