Ascheherz
sich, bis ihre Lippen ganz nah an seinem Ohr waren.
»Sie hat jemanden geliebt, Farrin«, flüsterte sie ihm zu. »Vor langer Zeit. Und nun fürchtet sie sich davor, dass der Tod dich ihr ebenfalls nimmt. Deshalb hat sie dich im Lager suspendiert.«
Sie spürte, wie sein Herz bei diesen Worten schneller schlug. Und wurde sich auch wieder ihres eigenen Menschenherzens bewusst. Es fühlte sich anders an als das Herz einer Zorya. Ungestümer. Lebendiger. Daran würde sie sich erst noch gewöhnen müssen.
»Ja natürlich«, murmelte Farrin betont spöttisch. »Du willst mir hier wirklich weismachen, dass die Frau aus Stahl sich vor dem Tod fürchtet? Hör zu, Südländerin. Deine romantischen Balladen in allen Ehren, aber wir Nordländer wissen, wann wir uns die Finger besser nicht verbrennen.«
Moira wartete bereits ungeduldig an einer Anlegestelle an der Südseite der Zitadelle. Heute begleitete Jola sie nicht. Wellen warfen sich gegen die Felsen und spritzten hoch in den Himmel. Obwohl es erst später Nachmittag war, begann die Sonne bereits unterzugehen. Ein rötlicher Glanz lag auf dem Horizont. Und irgendwo weit draußen blitzte ein goldener Punkt auf. Lady Mars Goldene Barke, dachte Summer . Es war ein seltsames und auch trauriges Gefühl, dass sie den Zorya immer noch nah genug war, um das Schiff zu bemerken. Und gleichzeitig zu wissen, dass sie nie wieder zu ihnen gehören würde.
Seit dem gestrigen Morgen war die ganze Zitadelle in Aufruhr. Moira hatte ihr Versprechen gehalten und die Zorya mit dem weißen Haar befreit. Einige Minuten später war Lord Teremes mitten im Thronraum blass geworden und zu Boden gestürzt. Doch
nur Summer wusste, was wirklich geschehen war, als sie von seinem so plötzlichem Tod erfuhr. Sie hatte sich noch tiefer in die Decken ihres Krankenlagers verkrochen und sich dieselbe Frage gestellt wie jetzt beim Blick auf die Barke: War die Zorya mit dem weißblonden Haar wieder zu den Ihren zurückgekehrt? Natürlich , sagte sie sich. Und Lady Mar und die anderen haben sie mit offenen Armen erwartet. Für einen winzigen, unvernünftigen Moment beneidete sie sie glühend darum.
»Los, beeilt euch!«, zischte Moira. Summer riss den Blick vom Horizont los und lief weiter über den nassen, muschelverkrusteten Felsen. Die pelzgefütterten Winterstiefel fühlten sich an, als hätte man ihr zwei Ziegelsteine an die Füße gebunden. Und auch mit den Fäustlingen konnten sie nicht viel anfangen. Das Verrückte war, dass sie trotzdem fröstelte, während sie Farrin zu dem kleinen Motorboot folgte. Der Verband an ihrer Schulter lag eng an, darunter pochte es meist nur noch, was sicher an dem bitteren, betäubenden Trank lag, den Farrin ihr vor wenigen Stunden eingeflößt hatte. Er achtete darauf, dass sie nicht ausrutschte und stürzte, während sie die letzte Distanz zum Boot überbrückten.
»Mach schon, Tanzmädchen«, drängte Moira sie. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand nach dem Boot fragt.«
»Wohin bringst du mich?«
»In die kleine Bucht. Von dort aus wird Farrin dich zu einem der Außenlager begleiten. Es ist nicht weit. Dort bist du im Augenblick sicherer als in diesem Haifischbecken von Zitadelle.«
Obwohl Summer wusste, dass sie ganz sicher nicht Moiras Befehl gehorchen würde, wurde ihr warm ums Herz. Verstohlen musterte sie die Kriegslady. Und wünschte sich nichts so sehr, als sie wiederzusehen.
»Die Zitadelle ist seit gestern ein Pulverfass«, fuhr Moira fort.
»Und das ist erst der Anfang. Gerüchte von Lord Teremes’ Tod sind bereits zu der Gegenpartei gelangt. Die einen sind davon überzeugt, dass Indigo ihn umgebracht hat und dann geflohen ist, die anderen beschuldigen Leute aus den eigenen Reihen, beide umgebracht zu haben. Und als wäre das noch nicht genug, stehen Lord Teremes’ eigene Leute kurz davor, sich gegenseitig an die Kehle zu gehen. Tja, wenn ein Thron frei wird, beißen sich die Wölfe darum.«
»Was wirst du tun?«, fragte Summer.
Moira zuckte mit den Schultern. »Meine Arbeit«, sagte sie lakonisch. »Genau das, wofür ich hier bin. Brände löschen, schwelende Glut ersticken, Kämpfe beenden. Die Sieger und die Besiegten an einen Tisch bringen. Den Lords und den Soldaten eine Stimme geben. Und verhandeln, verhandeln, verhandeln, damit nicht noch mehr Blut fließt. Das ist mein Geschäft.« Stolz schwang in diesen Worten mit. Und das Wissen darum, dass ihr keine leichte Zeit bevorstand. »Aber erst einmal«, fügte sie hinzu, »lade ich
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