Aschenpummel (German Edition)
Selbsthilfegruppe ist natürlich Schwachsinn, wir sind glückliche, gesunde Frauen, die sich einfach einmal in der Woche treffen, um ein bisschen zu quatschen.« Sie wandte sich mir zu und meinte heiter: »Männer, tsssss.«
Der Pirat lachte leise, ich verstand noch weniger als zuvor, musste aber dringend meine Frage anbringen. »Herr Nemeth, sind Sie schwul?«
Er hob die Augenbrauen, schüttelte den Kopf und sagte dann: »Nein, es … es tut mir sehr leid.«
»Ich wollte dich keineswegs überfallen, Teddy«, meinte Gisela sanft.
Ich schüttelte den Kopf. Langsam sah die Sache wieder richtig gut aus. Ingrid Bergmann war lesbisch, der Pirat war nicht schwul und von irgendeiner Piratenbraut war auch keine Rede mehr.
»Dann sind Sie – bist du also gekommen, Gisela, weil ich lesbisch bin?«
Sie zuckte mit den Schultern, schien amüsiert zu sein. »Ich weiß nicht«, entgegnete sie. »Bist du’s?«
Ich wusste nicht warum, doch ich wollte nicht gleich mit der Wahrheit herausrücken, stattdessen sagte ich: »Könnten wir uns kurz alleine unterhalten, Gisela?«
Beflissen öffnete der Pirat die Tür zu dem Eisentischzimmer, wir gingen hinein, und er schloss sie hinter uns.
Gisela und ich waren allein. Ich starrte auf ihr Dekolletee, sie legte den Kopf schief und lächelte mich an. Was jetzt … gefiel ich ihr?
»Ähm …«, begann ich, souverän wie immer.
Sie kicherte und flüsterte: »Du bist komplett verknallt in ihn, nicht wahr?«
»Äh, ich … äh, vielleicht …«
»Vielleicht? Die Untertreibung des Jahres. Die Liebe springt dir ja geradezu aus den Augen.«
»Dann weißt du also, dass ich nicht … naja –«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach komm, hältst du mich für blöd?«
»Wieso glaubt er, dass ich lesbisch bin?«
»Weil er ein absoluter Hornochse von einem Mann ist. Teddy, der sieht ein Mädchen, das nicht allzu viel aus sich macht, sich ein bisschen unwohl in seiner Haut fühlt, das ihn an ein anderes Mädchen erinnert, das er mal gekannt hat, und schon ist die Geschichte für ihn klar.«
Aha, so war das also. Für ihn war ich ein hässliches Entlein, an dem das einzig Interessante war, dass man es retten konnte, indem man ihm klarmachte, dass es zu seiner Homosexualität stehen müsse. Der Pirat, der große Retter mit dem Helfersyndrom. Und ich hatte mir eingebildet, dass er sich in mich verlieben könnte, dass er mich begehrte. Mein Herz fühlte sich an, als hätte es jemand gepackt und ausgepresst. Mir wurde so schwindelig, dass ich mich auf die Tischplatte fallen lassen musste. Das Eisen quietschte, es klang wie ein empörter Schrei.
Gisela war so nett, von meinem trampeligen Verhalten abzulenken, indem sie die halbe, vergammelte Wurstsemmel nahm, sie in einen Eimer warf, der unter dem Tisch stand, und sagte: »Teufel, wie sehr ich das Chaos an dem Mann hasse.«
Ich wünschte sehnsüchtig, ich könnte so locker über den Piraten sprechen. »Wie lange kennst du ihn schon?«, fragte ich.
»Sigi? Dreizehn, vierzehn Jahre. Wir haben zusammen an der Uni begonnen.«
»Er hat studiert?«
»Ungefähr ein ganzes Semester lang, ja.« Sie rubbelte mit den Fingerspitzen über die Tischplatte und fragte: »Möchtest du wissen, wie er damals war?«
Ich schluckte. Dann nickte ich. Sie kam mir direkt überirdisch vor. Nicht nur wegen ihrer Ausstrahlung, sondern weil sie das erste Bindeglied zur Vergangenheit des Piraten war. Der erste Beweis dafür, dass es diesen Mann schon früher gegeben hatte.
»Also, Teddy«, sie verschränkte die Arme, »einen Knall hatte er immer schon. Er war besessen von der Idee, über die Literatur eine bessere Welt zu schaffen, die Leute zum Lesen zu bewegen. Quasi, wer liest, der ist ein guter Mensch. Ich glaub, so ganz ist er noch immer nicht dahinter gekommen, dass das der reinste Schwachsinn ist.«
»Aber wenn man nur edle Werke liest?«, warf ich vorsichtig ein.
»Blödsinn. Schau dir allein mal die Nazis an. Unter denen gab oder gibt es genauso Literaten wie Schauspieler, Komponisten oder sonst was. Die Kunst und deren Genuss ist kein Vorrecht der guten Menschen.« Sie besah sich ihre Fingernägel und meinte genussvoll: »Das wäre leider ein Riesenvorurteil.«
»Oh«, stieß ich plötzlich hervor. »Oh, hat er eine Freundin?«
Gisela runzelte die Stirn. »Schon seit hundert Jahren nicht mehr.«
Meine Knie wurden weich. Ich wusste, dass es hysterisch war, aber ich musste einfach heulen vor Freude.
»Hey, Teddy, immer mit der Ruhe.
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