Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
Jed noch da war. Ja, er tat ihm sogar leid. Abel war fünfzehn Jahre älter als er, lebte allein und war auf das angewiesen, was er schnorren oder sich sonstwie unter den Nagel reißen konnte. In einem Winter, der ziemlich streng zu werden drohte, standen die Chancen schlecht für ihn. Dass Jed seinem greisen Nachbarn etwas zu essen gab, gebot der Anstand. Aber dann sah er, wie der Blick des Alten neugierig hin und her flitzte. Um kleine Veränderungen auszumachen? Ein vergessenes Kleidungsstück? Eine offene Tür, die sonst geschlossen war? Möglich. In Anbetracht der Umstände hatten sich Jed und Grace gehütet, irgendetwas von der Anwesenheit des Jungen verlauten zu lassen. Aber wahrscheinlich ahnte Abel inzwischen, dass irgendwas im Busch war. Herrgott, Jed würde es dem alten Knacker sogar zutrauen, dass er sie auf bloßen Verdacht hin verpfiff, wenn für ihn nur eine kräftige Mahlzeit dabei heraussprang. Doch Jed behielt seine Vermutung für sich, und das aus gutem Grund: Weil der Junge sonst fortgehen würde und er und Grace dann wieder allein sein würden. Ganz einfach.
»Egal, ob es die reguläre Armee, eine Miliz oder irgendeine Mischform ist, sie werden regen Zulauf haben, wenn sie Lebensmittel und Gebrauchsgüter verteilen.« Nachdem der Junge den Steckschlüssel aufgeräumt hatte, wischte er sich mit einem alten Kopftuch aus Jeds Vietnam-Zeit die öligen Hände ab. »Ich denke, wir wissen beide, was das heißt, Jed.«
Die Worte trafen Jed wie ein Schlag. »Wir könnten doch stattdessen zur Insel abhauen. Da ist kein Mensch. Von der Insel sind es noch fünfzig Kilometer zum kanadischen Seeufer hinüber, dann noch mal gute hundert, ehe man auf eine größere Ortschaft stößt. Da würde uns niemand finden. Die Einzigen, die je zu dieser Insel gekommen sind, waren Kajakfahrer – und das auch nicht oft, wegen der Klippen. Es ist nun mal kein guter Anlegeplatz, wenn man nicht Kleinholz aus seinem Boot machen will. Aber wir könnten es schaffen. Jetzt, wo du diesen Schlitten in Gang gebracht hast, müssen wir nur zum Lake Superior und das Boot zu Wasser lassen.«
»Jed, es ist mitten im Winter. Sogar wenn es uns gelingt, mit dem Schneemobil und dem Spitfire den Lake Superior zu erreichen, ohne dass uns jemand bemerkt: Spätestens wenn wir einen Motor anwerfen, hocken wir da praktisch wie auf dem Präsentierteller. Außerdem können wir nicht genug Benzin zum Auftanken mitnehmen. Wenn die Maschine mitten auf dem See den Geist aufgibt, müssen wir uns eine ziemlich lange Strecke zu Fuß durchschlagen und dazu noch Vorräte schleppen, was heißt, dass wir dann wohl auch eine ganze Menge davon zurücklassen müssten. Sobald wir auf dem Eis sind, haben wir weder Schutz noch Tarnung. Und wenn wir den Spitfire verlieren und später irgendwo unterwegs die Eisdecke nicht mehr trägt oder gar nicht mehr vorhanden ist, sind wir komplett aufgeschmissen.«
»Wozu haben wir dann überhaupt den verdammten Propellerschlitten gebaut?«
»Das ist doch klar. Du hast es mir selbst gesagt: Wenn wir schnell von hier verschwinden müssen, kommen wir mit dem Schneemobil nicht über den Odd Lake, wegen dieser Spalte im Eis, die nicht richtig zufriert. Nur mit einem Propellerschlitten hätten wir eine Chance. Halt dich an diesen Plan, Jed. Man kann nie wissen, ob man nicht plötzlich fliehen muss. Wenn es so weit kommt, könnt ihr beide im Frühling mit dem Kajak zu dieser Insel übersetzen. Noch besser, besorgt euch ein Segelboot, sobald ihr am Lake Superior seid. Da liegen bestimmt etliche herum, und ich glaube kaum, dass die Eigentümer noch irgendwas dagegen einwenden können. Auf diese Weise seid ihr nicht auf Motoren angewiesen. Ein Segelboot ist sicherer, und man kann einiges an Gewicht sparen, weil man kein Benzin mitnehmen muss. Dafür könnt ihr dann mehr Lebensmittel und andere Sachen einpacken.«
»Und was ist mit dir?«
»Du weißt, was ich tun muss.«
»Aber das ist doch verrückt. Reiner Selbstmord. Es ist ja nicht mal klar, ob sie überhaupt noch lebt.« Jed sah, wie sich der Ausdruck des Jungen veränderte: ein gequälter Zug, der ebenso schnell verschwand, wie er gekommen war. »Was ist?«
»Kennst du diese Beklemmung, wenn man auf ein Feuergefecht wartet? Genau so fühle ich mich jetzt, und es wird immer schlimmer. Sie lebt, und sie steckt in Schwierigkeiten, Jed. Wenn ich nicht bald aufbreche, zerreißt es mich noch.«
Dieses Gefühl kannte Jed in der Tat. Wenn man nichts als herumhocken konnte und auf
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