Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
Schenkel an, kämpfte gegen den Sog der Wassermassen. Und als spürte er, was sie vorhatte, verstärkte Wolf seinen Griff um ihr Handgelenk und zog, so fest er konnte, um sie ein klein bisschen mehr aus dem Wasser zu heben …
Auf einmal rumorte die Erde. Alex spürte den Druck von unten. Im nächsten Augenblick krachte etwas, wie ein gewaltiger Donnerschlag. Steine und Geröll prasselten über den Fels, rechts von Alex trat plötzlich schroffes Gestein zutage. Jemand schrie, und in einem jähen Steinhagel flog mit wirbelnden Armen und Beinen ein Junge an ihr vorbei. Er klatschte nur wenige Meter neben ihr aufs Wasser auf, auch wenn sie es wegen des Lärms nicht hören konnte, und versank in den Fluten. Da tauchte sein Kopf wieder an der Oberfläche auf, seine Hand griff ins Leere. Er riss den Mund auf, wollte vielleicht schreien, aber jegliches Geräusch wurde von einem Schwall Wasser erstickt, der ihm in die Kehle schwappte. Panisch schloss sich seine krallenartige Hand zur Faust, in seinen hervorquellenden Augen glänzte nur mehr das Weiße. Unmittelbar darauf war nichts mehr von ihm zu sehen.
Wieder spürte sie einen Ruck, doch diesmal ließ die Spannung in ihrer gequälten Schulter ein klein wenig nach, und sie dachte: Oje . Als sie hinaufschaute, verschlug es ihr den Atem. Wolfs Gesicht war blutüberströmt. Anscheinend hat ihn ein Stein getroffen. Benommen schüttelte er den Kopf und rutschte dabei fast aus. Seine Arme bebten jetzt unkontrolliert, die Muskeln waren zum Zerreißen gespannt.
Er kann mich nicht mehr halten. Wider Erwarten löste diese Erkenntnis aber keine Panik in ihr aus, sondern beruhigte sie fast. Monster oder nicht, er riskierte sein Leben, um sie zu retten. Also war der Fall klar: Wenn sie überleben wollte, gab es nur eine Möglichkeit.
Hilf ihm. Unternimm irgend was.
Mit finsterer Entschlossenheit verwandte sie all ihre verbliebene Kraft darauf, die Füße aus dem Wasser zu ziehen. Ihre Knie waren steif, ihre Oberschenkel krampften und zitterten … und dann spürte sie, wie sich ihr Fuß ganz langsam nach oben bewegte. Nicht sehr weit, nur ein bisschen. Doch es genügte.
Ja! »Komm schon, komm schon«, betete sie mantraartig herunter. Sie hatte die Zähne zusammengebissen, Bauch- und Nackenmuskeln vor Anstrengung angespannt. Man würde nicht glauben, welche Zähigkeit und Kraft im Wasser steckte, wenn man nicht gerade dagegen ankämpfen musste. Für Alex fühlte es sich an, als würden Riesenhände ihre Fersen umschließen, aber entweder gewann sie die Oberhand oder der Wasserstand fiel tatsächlich. Es lief auf dasselbe hinaus. »Komm schon, komm …«
Beide Füße kamen so abrupt frei, dass ihre brennenden Oberschenkel sich sogleich entspannen und wieder lockerlassen wollten. Keuchend wurde ihr bewusst, dass sie jetzt tatsächlich in der Luft schwang, über dem Wasser, und sie konnte sich gerade noch beherrschen. Einen Moment lang hing sie nur da, gehalten von Wolf, und ihr eigenes Gewicht brach ihr schier die Schulter. Nur Zentimeter unter ihr toste die Strömung und schien bloß darauf zu lauern, sie wieder hinabzuziehen, dann aber endgültig.
Da verstärkte Wolf seinen Griff neuerlich. Fast wurden ihre Handgelenkknochen zermalmt, und ganz langsam begann sie, hin und her zu pendeln: erst nur ein paar Zentimeter, dann mehr, denn Wolf versuchte, sie näher an die Felswand heranzuschaukeln, damit sie dort Halt fand. Immer weiter schwang sie aus und fühlte sich dabei wie ein klatschnasses Jo-Jo, das an einer ziemlich kurzen Schnur hing. Auf die bebende Wand zu und wieder zurück, noch ein bisschen näher – dabei behielt sie stets die Felsspalten im Auge, die anfangs drei Meter weg waren, dann nur mehr zwei, doch immer noch in unerreichbarer Ferne, selbst für jemanden, der einen sehr verzweifelten und entschlossenen Versuch wagen wollte. Also wieder zurück und noch einmal …
Jetzt! , schrie eine Stimme in ihr. Mach es jetzt, jetzt, jetzt!
Ihre linke Hand schoss vor. Finger schürften über Stein. Sie krallte sich wie wild fest, aber dann machte ihr die verdammte Physik einen Strich durch die Rechnung: Das Pendel schwang wieder zurück und zog sie mit sich weg.
» Scheiße! Verdamm… « Die Worte blieben ihr im Hals stecken, als Wolfs Finger abzurutschen begannen. Seine Muskeln vibrierten, und das alles verschlingende Wasser kam näher, ganz nah … Nein, nein, nicht lockerlassen, Wolf! Halt aus, nur noch ein paar Sekunden … Schon schwang sie zurück, und das
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