Aster, Christian von - Die grosse Erdfer
Verwalters war das eine erhebliche Strecke. Denn eigentlich waren sie es, die die Welt der Zwerge formten. Normalerweise geschahen Dinge nicht einfach. Sie ließen sie geschehen. Sie ersannen und bewahrten die Traditionen und Prophezeiungen ihres Volkes und gestalteten sie neu, wenn es nötig war. Sie wussten, dass der Wille der Götter flexibel war, und sie vermochten ihn auf hundert verschiedene Arten zu formulieren. Sie erfüllten den Willen des Ewigen Schmiedes. Und den des Schicksals. Sobald sie ihn ersonnen hatten.
Unter dem wachsamen Auge des Großen Verwalters hatten die Häuptlinge im Lauf der Jahrhunderte Trolle provoziert, falsche Goldadern in den Felsen gelegt, um von anderen Problemen abzulenken, und allenthalben neue alte Prophezeiungen ersonnen. Und da nun einmal sie es waren, die über die Wirklichkeit bestimmten, fiel es ihnen schwer zu glauben, dass überhaupt etwas ohne ihr Zutun wahr werden könnte.
Sie schufen die Probleme und ihre Lösungen. So war es gedacht, und so funktionierte es seit der Zeit der ersten Felsen. Probleme, die sich selbst ersannen und in den Gängen manifestierten, waren selten. Und die meisten von ihnen waren zumindest auf die eine oder andere Art lösbar. Dieses hier jedoch nicht. Das nahende Ende von Zwerg und Zwergeszwerg war ein vergleichsweise endgültiges Problem…
Breitbarts Worte bewirkten, dass das Schweigen an der Tafel eine andere Richtung nahm. Es blieb freilich ein Schweigen. Und nur wer das Schweigen zuvor vernommen hatte, hätte die unangenehme Veränderung darin wahrnehmen können.
Für die Anwesenden war das Wesen ihres Schweigens jedoch nicht weiter von Belang. Ihr Problem war vielmehr das Fehlen einer Antwort auf die Frage, wie sich das herannahende Unheil wohl abwenden ließe.
Zur Wachablösung wurde Dumbrigk Brockbart schließlich geweckt. Auf die Frage, ob es besondere Vorkommnisse gegeben hätte, erwähnte er nichts. Inzwischen erachtete er seine Trugbilder weder als etwas Besonderes, noch hätte er sie als Vorkommnisse bezeichnet. Und dementsprechend war er der Meinung, dass im Verlauf seiner letzten Wache nichts Bemerkenswertes vorgefallen war.
Seine Wachablösung, ein gewisser Gulgadd Erzgilb, sah das allerdings anders. Der junge Kollege, der bei Weitem noch nicht die Trinkreife eines gestandenen Zwergs erreicht hatte, glaubte nämlich, hinter der Tür zur zentralmagischen Kammer etwas gehört zu haben. Brockbart wusste natürlich, worum es sich dabei handelte. Seine trunkenen Visionen, die seit Beginn seines Nickerchens allerdings schon ein ganzes Stück leiser geworden waren.
Es war wirklich erstaunlich, was ein kleines Nickerchen bewirken konnte. Noch erstaunlicher war allerdings, dass ein anderer seine Visionen wahrnehmen konnte. Eigentlich hielt Brockbart das sogar für ziemlich unverschämt. Da kam einfach ein beinahe nüchterner Zwerg daher und hatte an seinen mühsam ersoffenen Visionen teil! Und dass Gulgadd Erzgilb gleich nach der Übergabe des Schlüssels das Tor zur zentralmagischen Kammer öffnete, um die Trugbilder in Augenschein zu nehmen, fand Brockbart unerhört. Schließlich war das alles das Ergebnis harter Arbeit! Sollte seine Ablösung sich doch ihre eigenen Visionen herbeitrinken!
Dass Erzgilb dann aber auch noch darauf bestand, seine Visionen umgehend dem Großen Verwalter zu melden, verwunderte Brockbart am meisten. Kopfschüttelnd warf er durch die halb geöffnete Tür einen Blick auf seine Trugbilder. Sie waren immer noch da, die vier unbekannten Zwerge und der Hohepriester, und rüttelten an ihren Käfigen. Mit nachdenklicher Miene sah Brockbart seinem davoneilenden Kollegen nach und hob eine Flasche an den Mund, um der Langeweile noch einmal beherzt Einhalt zu gebieten.
Der Große Verwalter und seine Häuptlinge hatten ihr Schweigen an der steinernen Tafel der Tradition zurückgelassen und waren sofort in die zentralmagische Kammer geeilt. Die ovalen Wände waren mit knorrigen Wurzeln überzogen, die aus Boden und Decke wucherten und sich wie spröde Fangarme über alles gelegt hatten, das sich ihnen im Laufe der Zeit in den Weg gestellt hatte. Die Wurzeln wucherten selbst über die Käfige und die Tür, wanden sich umeinander und ließen nirgendwo mehr die steinerne Wand der Kammer durchscheinen.
Vor der Tür der Kammer stand noch immer Dumbrigk Brockbart, der sowohl den Großen Verwalter als auch die Häuptlinge für Ausgeburten seiner alkoholisierten Fantasie hielt.
Diese nahmen ihn jedoch
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