Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
Prolog
I m Fernsehen wirkten die großen eckigen Sessel immer so bequem. Lilli rutschte auf dem glatten Leder hin und her. Verdammt, es musste doch möglich sein, eine angenehme und halbwegs elegante Sitzposition zu finden. Sie wollte auf keinen Fall aussehen wie eine in der Sofaecke vergessene Gliederpuppe. Aber auch nicht so, als hätte sie Knuts Wasserwaage verschluckt. Außer ihr rutschte niemand. Rechts von ihr nippte, die Beine lang ausgestreckt, Hans Scheibner an seinem Rotwein. Gegenüber flüsterte Charlotte Roche mit Dieter Wedel. Links von Lilli saß ein Jungschauspieler, dessen Namen sie sich nicht merken konnte. Er lächelte ihr zu. Lilli lächelte zurück. Dann war da noch Ruth Maria Kubitschek. Sie sah ein bisschen müde aus. Müde, aber auch superelegant und gelassen.
Es war lächerlich, so nervös zu sein. Nichts war ihr hier fremd, sie kannte das alles aus dem Effeff. Sämtliche Kameraleute, die Regisseurin, Andy, den Anheizer, und seine immer gleichen Sprüche, mit denen er garantiert auch heute das Publikum aufgelockert hatte, bevor sie und die anderen Talkgäste ins Studio gekommen waren. Lilli sah zu der hohen Metalltür, durch die das Publikum eingelassen wurde und die jetzt geschlossen war. Bis vor kurzem war sie es gewesen, die die Leute, wenn sie erwartungsfroh hereinkamen, unauffällig sortierte. Denn die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht … Lilli sah sich um. Die Dicke da links mit dem grellbunten Kleid, die hätte es bei ihr nie ins Licht geschafft, also in die erste Reihe gleich hinter den Talkgästen.
Vergiss das jetzt, sagte sich Lilli. Das ist nicht mehr dein Job. Du bist hier nicht zum Arbeiten, du bist Gast. Wirklich wahr. Inzwischen hatte die Berger garantiert mitgekriegt, wer da in ihrer Sendung saß, und tobte im Regieraum. Lilli gönnte sich ein zufriedenes Lächeln. Dann dachte sie kurz an Marie-Anne. Ob sie wohl einen Fernseher in ihrer Zelle hatte?
Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt erschienen und besetzten die beiden noch freien Sessel. Dann setzte die Erkennungsmelodie ein. Lilli zupfte schnell noch mal ihr Kleid zurecht. Strick mit Chiffon in Cremeweiß – schlicht, aber stilvoll. Und es passte gut zu den orangebraunen Sesseln. Nur schade, dass der Jungschauspieler sich keine Gedanken über die Farbe seines Hemdes gemacht hatte. Rosa zu Orangebraun, da kam einem ja der Kaffee hoch. Die Schöneberger trug mal wieder schwarz und eng. Zu eng für Lillis Geschmack. Sie selbst wäre im Leben nicht so herumgelaufen, schon gar nicht vor einer Kamera.
Nur noch ein paar Sekunden. Die Namen der anderen Gäste rauschten an ihr vorbei. Dann sah Hubertus in ihre Richtung. An der auf Lilli gerichteten Kamera leuchtete das kleine rote Licht. Sie war auf Sendung. O Gott, ihr war schlecht. Lächle, Lilli, lächle! Wie von weitem hörte sie Hubertus sagen: »Lillian Reich über Lug und Trug.«
1
I ch hatte keine kleinen Männchen im Kopf, die mir Befehle gaben. So war das nicht. Ich hatte auch keine »Ich-Störung«. Mal ehrlich, eine Freundin, die so etwas behauptete, musste man doch wirklich in die Wüste schicken. Und dort konnte Tina meinetwegen vertrocknen. Ich war eine ganz normale Frau von sechsundvierzig Jahren. Ich hatte einen Mann, ich hatte eine Tochter, ich hatte einen Beruf, ich hatte ein Hobby.
»Frau Karg?« Leider hatte ich auch eine Chefin. »Wenn ich Ihre sicher immens wichtigen Gedanken kurz unterbrechen darf? Wir haben noch Änderungen in der Sitzordnung und im Ablauf. Und sind die Moderationskarten für Hubertus fertig?« Das war sie. Yvonne Berger. Ein Meter achtzig groß und ein echter Kotzbrocken. Seit vier Wochen unsere Redakteurin. Sie stand vor meinem Schreibtisch, und aus ihrem riesigen rotgeschminkten Mund tropfte Säure. »Es wäre übrigens ganz reizend, Frau Karg, wenn Sie gelegentlich ans Telefon gingen.« Von mir aus konnte sich Yvonne Berger den Platz an der Sonne mit meiner ehemaligen Freundin Tina teilen. Ich konnte die beiden fast sehen, wie sie mit letzter Kraft auf ein leider ausgetrocknetes Wasserloch zurobbten.
Ich würdigte Frau Wichtig-Berger keiner Antwort, nahm ihr die Papiere aus der Hand und machte mich mit einem demonstrativen Seufzen daran, die Pläne zu ändern und neu auszudrucken. Für die Berger, die sich gerade ungefragt eine der Pralinen aus dem Schälchen auf meinem Schreibtisch in den Mund schob und dann abzog, war ich doch nichts anderes als eine Papiermaschine. Warum hatte Sabine auch
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