Atlantis
ein.
»Miss Harlessen!«
Eine Männerstimme traf ihr Ohr. Sie blieb stehen, wandte sich um.
»Ah! Mr. Rouse?«
»Sie sind erstaunt, mich hier zu sehen, Miss Harlessen. Ein Zufall führte mich in dies entlegene Viertel. Ein glücklicher Zufall, der mich Sie hier treffen ließ. Wie kommen Sie hierher?«
»Ich wohne hier, Mr. Rouse.«
»Sie wohnen hier? In dieser Vorstadt? Sind Sie schon lange in New York? Sie verließen damals Tejada und verschwanden, ohne Ihren Freunden jemals ein Lebenszeichen zu geben. Wie ist es Ihnen seitdem ergangen? Was treiben Sie seitdem in New York? Viele Fragen auf einmal, Miss Harlessen. Aber mein Interesse an Ihnen ist so groß…«
»Ich bin, um es kurz zu sagen, im Hause Simmons Brothers als Angestellte tätig.«
»Oh, Miss Harlessen, das erweckt mein tiefstes Bedauern.«
»Warum bedauern Sie mich? Ich sehe durchaus keinen Grund.«
»Aber, Miss Harlessen! Ein Wechsel der Lebensführung, der doch – ich bitte um Entschuldigung – mit solchem Abstieg verbunden ist, dürfte doch in Wahrheit bedauerlich sein. Blieb Ihnen kein anderer Ausweg nach jenem abscheulichen Verbrechen in Tejada? Hatten Sie keine Freunde und Verwandten, die Ihnen halfen? Warum wandten Sie sich nicht an mich?«
Christie streifte ihn mit einem leichten Seitenblick.
»Warum an Sie, Mr. Rouse?«
»Oh! Eine Frage, die mich kränken muß, Miss Harlessen! Waren wir nicht in Tejada, wo ich so häufig weilte, einander so vertraut geworden? Bestand schließlich nicht eine moralische Verpflichtung der Canal Company, für die Folgen dieses Unglücks aufzukommen?«
»Ich wüßte nicht, Mr. Rouse.«
Rouse schien den Doppelsinn dieser Worte zu überhören.
»Und doch war es damals mein erster Gedanke, nach Tejada zu eilen und Ihnen Hilfe anzubieten. Leider waren Sie verschwunden… unauffindbar. Warum taten Sie das? Dachten Sie so gering von den alten Freunden? Von mir?«
Rouse war im Gehen näher zu ihr getreten, so daß seine Schulter die ihre streifte.
»Lassen Sie… lassen Sie die Erinnerungen an Tejada, Mr. Rouse!«
Ein zitternder Unterton lag in Christies kühl abweisenden Worten.
»Miss Harlessen!«
Christie schien den Ruf zu überhören. Sie beschleunigte ihre Schritte, um die heller erleuchtete Hauptstraße zu erreichen.
»Sie weisen meine Hilfe ab, Miss Harlessen? Zweifeln Sie an…? Wenn Sie wüßten, wie sehr Ihr Schicksal mich interessiert. Der Gedanke, Sie in einer solchen untergeordneten Stellung zu wissen, ist mir unerträglich.«
»Sie machen sich unnötige Sorgen um meine Person, Mr. Rouse. Ich bedarf Ihrer nicht…«
»Ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, Miss Harlessen, weisen Sie mich nicht ab! Ihre Kühle ist verletzend. Ich ertrage es nicht!«
Die verhaltene Leidenschaft, die aus seinen Worten klang, steigerte ihre Unruhe. Nur mit Mühe zwang sie sich zu einer Antwort.
»Mr. Rouse! Nehmen Sie an, mein Selbständigkeitsgefühl wäre so groß, daß trockenes Brot, selbst verdient, mir besser schmeckt als… noch einmal! Ich bedarf fremder Hilfe nicht.«
»Fremd? Miss Christie! Bin ich Ihnen ein Fremder? Bin ich Ihnen so gleichgültig, Christie?«
Sie hörte die Worte dicht an ihr Ohr klingen. Sie fühlte, wie ein Arm sich in ihren legen wollte. Mit einer brüsken Bewegung streifte sie ihn ab. Fast laufend erreichte sie die Hauptstraße.
»Reizen Sie mich nicht, Christie!« stieß er keuchend hervor. »Ich lasse Sie nicht. Wissen Sie jetzt auch, daß ich Sie von Tejada aus auf Schritt und Tritt beobachten ließ? Daß meine Leute mich ständig über Sie auf dem Laufenden hielten? Glauben Sie, ein Mann wie ich täte das umsonst? Bedenken Sie, was Sie verschmähen! Ich bin Guy Rouse! Der Sie zur Seinen wünscht…«
»Nie! Mein letztes Wort!« stieß es aus ihrem Munde. Sie trat in die helle Hauptstraße.
»Das letzte Wort werde ich sprechen!« klang es hinter ihr her.
Klaus Tredrup schritt über den Zechenhof. Zwei Nachtschichten unter Tage gaben ihm für vierundzwanzig Stunden freie Zeit. Am Zechentor stieß er auf den Chefingenieur. Nach kurzer Begrüßung schlugen sie den Weg zur Stadt ein. »Wie gefällt es Ihnen bei uns, Herr Tredrup? Sie sind allerdings erst drei Tage im Betrieb.«
»Nun… ganz gut. Soweit ich es bisher übersehen kann, werde ich die Mutter Erde hier mit demselben Vergnügen bearbeiten wie früher an den verschiedensten anderen Stellen. Ich hoffe, wir schlagen schon morgen das nächste Flöz an. Die Verhältnisse in Wibehafen sind ja erfreulich
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