Atlas eines ängstlichen Mannes
zwei Tagen als Flüchtlinge aus dem Nordosten angekommen waren.
Still! Still! Während ich einen Ast als Stativ benutzte, um die Herde im schwindenden Licht zu fotografieren, prusteten die Kinder an meiner Seite in ihre vor den Mund gehaltenen Hände und Fäuste oder drückten sich die Finger gegenseitig auf die Lippen. Aber anders als ich schien sich keiner meiner Begleiter davor zu fürchten, daß ein in seiner Ruhe oder seinem Familienleben gestörter Elefant, gleichgültig ob Bulle oder Kuh, einem Besucher in der Wildnis zum vernichtenden Feind werden konnte. Der Bulle, der dem Dickicht unserer Deckung am nächsten stand, war offensichtlich liebestoll und schwankte, wie vom Pendel seines monströsen Penis aus dem Gleichgewicht gebracht, im Uferschlamm hin und her. Kichernd machten die Kinder einander die besten Aussichtsplätze streitig, die sich aus dem blühendem Buschwerk unseres gemeinsamen Verstecks auf den Schwankenden boten.
Die Herde war nur eine Abordnung, Teil eines größeren, weit auseinandergezogenen und aus mehr als zweihundert Tieren bestehenden Zuges wilder Elefanten, die in diesen Tagen vor dem Raketenfeuer, den Minen, Bomben und Flächenbränden des Bürgerkriegs zwischen dem Volk der Singhalesen, dem Staatsvolk, und dem Volk der Tamilen flohen, den
Tamil Tigers
,
die im Osten der Insel ihren eigenen Staat gründen wollten. In weiten Landstrichen an der Ostküste herrschte von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang die singhalesische Armee, in der Nacht aber die Angst vor den
Tigers
.
Auch wenn sich die tamilischen Separatisten in den ersten Dezemberwochen vor der Übermacht der Armee in die Dschungelgebiete von Yala zurückzuziehen begonnen hatten, waren in den Dörfern Nacht für Nacht Schüsse zu hören: Wie der bloße Widerhall des verstummten Gefechtslärms gehörten diese Salven aber nur zu dem mit Gewehren, Trommeln, Rasseln und Steinen erzeugten Lärm, mit dem Reisbauern den Elefantenzug von ihren Feldern und Kokoshainen fernzuhalten suchten. Die Reisfelder glitzerten in den Nächten im Widerschein großer, auf turmhohen Plattformen zur Abschreckung entfachter
Elefantenfeuer
. Als ob die Elefanten den
Tigers
in die Dschungel von Yala folgen und dabei eine der Vernichtungswut der Menschen entsprechende Spur hinterlassen wollten, zertrampelten sie auf ihrem Weg Felder, Hütten – und Menschen. In den
Daily News
, einer der größten Zeitungen des Landes, war Morgen für Morgen von Toten und Verletzten zu lesen. Vor zwei Tagen war ein mit Landarbeitern besetzter Zug nach einer Kollision mit einem Elefantenbullen entgleist.
Ich hatte mich vor einer Woche einem Teehändler aus Colombo angeschlossen, der seine Familie an der Ostküste besuchen wollte. Der Händler unterhielt sowohl zu den
Tigers
als auch zu Offizieren der Armee von Geschenken und Bestechungsgeldern gefestigte Kontakte: Er habe die Reise in den Osten schon mehrmals unternommen, die meisten Straßen seien nun wieder sicher. Aber als wir nach einer zweitägigen Fahrt und vielen durch Straßensperren erzwungenen Umwegen unser Ziel im Gebiet des Lahugala-Sees und die Sümpfe im Hinterland der Arugam Bay erreichten, war nach nächtlichen Gefechten im Umkreis von sechzig Kilometern kein einziges Telefon mehr funktionsfähig. Auch die Straßen zwischen Lahugala, Kithulana, Pothuvil und entlegenen, im Raketenfeuer verbrannten Tamilendörfern wurden mit Einbruch der Dämmerung gesperrt und bei Sonnenaufgang nach Landminen abgesucht. Naagus, der Koch eines ausgebrannten
Guest House
, das mir in Colombo als bequemes Quartier empfohlen worden war, hatte dringend geraten, die Beruhigung der Lage abzuwarten. Es gebe hier schließlich nicht nur Brandruinen zu sehen: Viele Wildtiere, die auf ihrer Flucht vor dem Krieg das Land durchstreiften, zeigten sich in diesen Tagen häufiger als jemals im Frieden, ein Schauspiel, das einen Reisenden daran erinnern könne, daß diese Insel einmal als der Garten Eden, das Paradies auf Erden, gegolten hatte.
Naagus kannte die Wellenhöhen jeder Bucht an der Ostküste in Metern und Fuß und hatte seinen Gästen in Friedenszeiten gezeigt, wie ein Mensch auf den größten Brechern mit seinem bloßen Körper, ohne Surfbrett und andere Hilfen, reiten konnte. Er schlief nun mit seiner Familie unter vier zusammengerückten, mit Palmwedeln und Tüchern verhängten Tischen des Guest House. Wenn er am Morgen mit einem Wasserbüffelgespann an entlegene Strände fuhr, um feinsten Sand für ein neues Haus zu holen,
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