Auch Deutsche unter den Opfern
Segler als Kielschwein bezeichnet.
In anderen deutschen Städten hat man andere Beschimpfungs-Parameter, in Hamburg wird man im Wahlkampf gern maritim: Die SPD sagt, Herr von Beust möge doch lieber vor Sylt herumsegeln, und die CDU sagt eben dasselbe von Herrn Naumann. Auch wer in Problemstadtteilen wohnt, hat es hier wenigstens nicht weit bis zum Wasser und versteht also, was gemeint ist. Obwohl viele junge Hamburger Schüler noch nie am Hafen waren, sagt Naumann nun, und dass ihn das bestürze. Er möchte jetzt über Bildung sprechen, sein prioritäres Wahlkampf-Thema. Ach ja, die Bildung. Je nach Adressat lässt Naumann die seine entweder, wie man so sagt, raushängen, oder er beklagt deren »durch Ole von Beust« vorangetriebenen Verfall, all diese Verheerungen im Hamburger Schulsystem. Er wird das alles ändern – wenn er denn gewählt wird. Wie auch immer, ein bisschen hängt sie also immer heraus aus seinem Sprechen, die Bildung. Als ehemaliger Verleger, ehemaliger Kulturstaatsminister, beurlaubter Herausgeber, mit Promotion über Karl Kraus Ausgestatteter, selbst also Höchstgebildeter, hat Naumann sich da ein glaubwürdiges Wahlkampf-Thema ausgesucht. »Wir werden die Studien…pläne … die … Entschuldigung, wir werden die Pläne an den … Schulen, oh Gott … wir werden die Schulpläne an den … wir werden … die Schulstunden entrümpeln«, hatte er am Abend zuvor in die Duell-Kamera gesprochen. Einen Tag später nun hat er, was man immer hat, einen Tag nach einer Schlagfertigkeitskrise: gutzurechtgelegte, pointierte Erwiderungen. Ein Blackout könne ja schon mal vorkommen, wenn man einem politisch Schwarzen gegenüberstehe, der so schamlos an der Wahrheit vorbeisegele (maritim!) wie eben von Beust, sagt Naumann also am Tag darauf und guckt beifallheischend. Denn »in der Sache« – und so schwingt er sich nun weiter durch Programm und selbst- bis sprachverliebte Überzeugungsgrammatik. Die Schulklassen in Hamburg seien zu groß, von elternvermögensunabhängiger Chancengleichheit könne nun wirklich keine Rede sein – Naumann ist jetzt in Hochform. Jetzt. Den Ausrutscher lebenslang auf Youtube wiederzufinden, darauf freue er sich schon, merkt er nebenbei tapfer an.
Sprecher Beling gießt Kaffee in rote Porzellanbecher, bedruckt mit dem Hamburger Stadtwappen, der Aufschrift »Bürgermeister für Hamburg«, dazu Michael Naumanns Unterschrift und das SPD-Logo. Diese Becher sind momentan sehr berühmt in Hamburg. Nach seiner Ernennung zum Spitzenkandidaten der hiesigen SPD musste Naumann dem Großteil der Hamburger zunächst mal überhaupt bekannt gemacht werden, die roten Becher haben dabei geholfen. Die Fotografin Karin Rocholl wurde im März vergangenen Jahres beauftragt, den gerade Gekürten zu porträtieren, und brachte, wie sie das immer bei Porträt-Terminen tut, einige ihr passend erscheinende Requisiten mit; für die Naumann-Bilder hatte sie im Geschäft »FahnenFleck« allerlei Hamburg-Devotionalien zusammengekauft. Als sie ihm einen Rettungsring mit Stadtwappen darauf hinhielt, fragte er, ob sie verrückt geworden sei, den roten Becher aber nahm er bereitwillig am Henkel, ein schöner Blickfang; der Kandidat trug ein Hemd, die oberen beiden Knöpfe offen – und guckte freundlich in Rocholls Kamera. Das so entstandene Foto gefiel ihm sehr gut, ein paar Wochen später hing es in ganz Hamburg. Kurz darauf wurde Rocholl mitgeteilt, dass das Motiv einigen Hamburgern zu salopp erschiene, und so wurde ein weiterer Fototermin vereinbart: Naumann trug diesmal Jackett und Krawatte, nahm seine Lesebrille in die linke Hand, den rechten Zeigefinger legte er in ein aufgeschlagenes Buch, unter dem der Deckel eines Laptops hervorlugte – auf dem neuen Motivsollte also so einiges mitgeteilt werden. Der rote Becher wanderte an den Bildrand, aber er blieb. Gegen dieses etwas zugeknöpftere Bild gab es bis heute keine Einwände in Hamburg, es hängt an jeder Laterne und Plakatwand, an der kein Ole-von-Beust-Plakat hängt, und die SPD hat die roten Becher als Werbegeschenk in Umlauf gebracht. In den Umfragen liegt Naumann hinter von Beust, aber er hat aufgeholt.
Schließlich hatte Helmut Schmidt gesagt, »Mike, Sie müssen das machen«. Und Mike machte also: Er installierte eine vom Rest der Partei widerwillig zur Kenntnis genommene Mannschaft um sich herum, eine eigene Sekretärin, den strengen Sprecher Beling; er stellte ein »Kompetenz-Team« zusammen aus Personen wie Monika Griefahn oder Kurt
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