Auch Deutsche unter den Opfern
Denkmal zu setzen: »Poesiealbum Udo
Lindenberg« nannte ich das so entstehende Hörbuch,es war ein
Leichtes, die unterschiedlichsten Interpreten zum Mitmachen zu überreden, von Elke
Heidenreich bis Harry Rowohlt, von Jeanette Biedermann bis Bryan Adams, von Wolfgang
Joop bis Otto Sander. Niemand bekam einen Cent dafür, ich selbst zahlte ordentlich
drauf, aber alle waren umstandslos dabei, Lindenbergs Poeme schienen nicht nur mir
diverse Lichter aufgesteckt zu haben.
Dass die meisten der Texte fast so alt waren wie ich
selbst, war erst auf den zweiten Blick problematisch. Waren wir nun alle
sentimental, oder konnte Lindenbergs Spätwerk die Qualität früherer Geniestreiche
einfach nicht mehr übertreffen?
3. Ganz anders
Eigentlich bin ich ganz anders
Ich komm’ nur viel zu selten dazu
Lindenbergs markante Nasal-Stimme und seine
selbsterfundene, querulatorische Sprache sind Steilvorlagen für Parodisten. Am
lustigsten klingt es, wenn er selbst nachmacht, wie ihn jemand nachmacht. Er ist
klug genug, auf liebevoll gemeinte Nachahmungen genauso wie auf spöttisch gedachte
souverän zu reagieren. Heikel wurde es eigentlich nur, als er auf manchen Platten in
den 90er Jahren klang, als imitierte er selbst diesen »Udo Lindenberg«.
Natürlich, auf Populärmusikkonzerten will das Publikum,
egal von welchem Künstler, vor allem Altbekanntes hören; neue Lieder werden
geduldet, aber am liebsten hört man, was man schon kennt, die Lieder, derentwegen
man schließlich gekommen ist, die man schon lange in Herz und Ohren trägt. Am
besten, sie werden originalgetreu vorgetragen und dienen dem Zuhörer so als Vehikel,
sich zu fühlen wie: damals. Für einen Künstler ist es schön, ja ist es Ziel, solche
Hits zu haben, aber irgendwann fragt er sich, was ihn eigentlich noch unterscheidet
von einer Jukebox.
Udo Lindenberg hat in den letzten Jahren sehr viel gemacht,
Ausstellungen, Tourneen, Filme, Nachwuchsförderung, dies und das – vor allem aber
keine vollständige, vollgültige neue Platte. Als Ablenkungsmanöver nicht
ungeschickt, all diese Verzweigungsabenteuer, aber irgendwann musste er doch mal zum
Eigentlichen zurückkehren. Würde er das schaffen? Lange sah es nicht danach aus. Es
war nie »ruhig um ihn«, vielleicht war das das Problem. Vor allem, wenn er mal
wieder »ins Schleudern« kam, las man davon, aber man hätte es so viel lieber gehört – hinterher, verarbeitet in einem Lied. Am Persönlich-Menschlichen
stark interessierte Boulevard-Zeitungen waren natürlich hin und wieder in »großer
Sorge um Udo«, aber als Fan machte man sich vor allem Sorgen um sich selbst: Mit
guten neuen Lindenberg-Liedern wäre doch das Leben so viel einfacher.
»Ja, komm, hau rein das Ding«, näselt Jan Delay, der ja
sowieso auch selbst näselt, hier aber extra lindenbergig näselt – und dann
schmettert dieses neue Lied los, ein Duett, Lindenberg und Delay singen gemeinsam,
und so frisch klang Lindenberg lange nicht. Tatsächlich, ein neues Lied, das bald
schon Klassiker sein wird, ein neuer Hit – von Udo Lindenberg!
4. Was hat die Zeit mit uns gemacht
Auf dieser Autobahn
Lass uns nicht weiterfahr’n
Die letzte Ausfahrt hier
Ey, komm, die nehmen wir
Sommer 2006, die Arbeit an der neuen Platte läuft. Wir
sitzen in Lindenbergs Phaeton und fahren zur Elbe, mal alles besprechen, den
Schiffen zuwinken, in den Wind pinkeln. Er sitzt am Steuer, ich habe einen Stapel
DIN-A4-Blätter auf dem Schoß, lese in den Textbaustellen. Aus den Lautsprechern
dröhnen neue Kompositionen sehr unterschiedlicherArt und Qualität,
noch ohne Gesang, die neuen Texte enthalten schon einige Juwel-Passagen, aber sie
holpern noch, manches scheint brauchbar, wenn man noch … und falls denn …
Noch kann alles schiefgehen.
Lindenberg summt vor sich hin, ist noch unentschieden, mit
wem er die Platte aufnehmen wird, wovon sie erzählen, wie sie klingen, wer sie wann
veröffentlichen soll (beziehungsweise, wenn sie gut wird: darf). An Ideen mangelt es
nicht, das genau ist das Problem. Lindenberg orientiert sich in Hunderten
Gesprächen, Singversuchen und Probeaufnahmen. Als »Kumpel und Berater«, wie er uns
um ihn Herumschwirrende einander und anderen vorstellt, darf man jetzt nicht die
Nerven verlieren. Dass auch ich, als erklärter Ultrafan, etwas zu den Texten sagen
darf oder soll, sogar ein paar Ideechen und Gags dazuzukritzeln gebeten werde,
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