Auch Deutsche unter den Opfern
Beckmann. Am Vorabend stand ebendieser Beck
plötzlich unten in der Hotellobby und redete irgendwas auf Lindenberg ein. Das eben
mag Lindenberg so am Hotelleben, dass durch die Drehtür ständig Überraschungen
hereingestolpert kommen, mit denen man schnell ins Gespräch, vor allem aber auch
unkompliziert wieder aus einem solchen heraus kommt. Beck hatte ihn im Januar 2007
mit der »Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz« ausgezeichnet, und
Becks Redenschreiber hatte sich anlässlich der Medaillenverleihung Sätze wie diesen
für den Ministerpräsidenten ausgedacht: »Was mir persönlich besonders imponiert,
lieber Udo Lindenberg, sind Ihre Texte, die politisch engagiert sind.«
Auf Lindenbergs Plasmabildschirm laviert Beck nun herum, nein, es
war kein Wortbruch, es war eine Richtung, die neu eingeschlagen wurde … kein
Wählerbetrug, sondern die Auseinandersetzung mit einer Situation, wie sie sich neu
ergeben hat … in unserer Aufregungsgesellschaft …
Langweilig, der Typ, findet Lindenberg, »und vor allem –
die Sprache!«
Unterstützt von einem Hotelangestellten sucht er jetzt,
viel wichtiger, die Kappe eines besonders dicken Eddingstifts, irgendwo muss die
doch sein – unterm Sofa? Lindenberg wird nachts noch ein paar Bilder malen. »Und,
sag mal, hat einer von euch zufällig meinen Führerschein gesehen?«
Ein Schild auf der Kommode mahnt: »Lebe immer First Class,
sonst tun’s Deine Erben!«
6. Stark wie zwei
Der Fährmann setzt dich über’n Fluss rüber
Ich spür’ deine Kraft, geht voll auf mich
über
Und auf einmal, aus vollem Lauf, ist man einer weniger: Am
1. Februar 2004 erlag urplötzlich Rocco Klein den Folgen eines Sturzes. Viele
kannten ihn als klugen, lustigen Nachrichtenmann aus dem Musikfernsehen. Obendrein
war er einer der treuesten, textsichersten und missionarischsten Lindenberg-Verehrer
überhaupt. Alle paar Wochen legte er in einer Kölner Kaschemme seine
Lieblingsplatten auf, und jedes Mal rief er dann tiefnachts an und meldete: »Bruder,
jetzt ist Udo-Zeit – ich leg die ›Ball Pompös‹ auf und lass sie ganz durchlaufen,
okay?« Und dann sangen wir gemeinsam am Telefon laut mit, im Hintergrund waren hin
und wieder Beschwerden zu hören von irgendwelchen Kölnern, die was anderes hören
wollten – aber da waren sie an den Falschen geraten, lieber legte Rocco noch eine
Lindenberg-Platte auf, weniger, um die Nörgelkölner zu ärgern, mehr, um sich und mir
eine Freude zu machen. Damit war es nun vorbei.
Ich saß bedröppelt in der »Panik-Zentrale«, und Lindenberg riet,
ich solle es auf jeden Fall so sehen, Rocco sei »nicht von uns gegangen – er
ist vor uns gegangen«. Wir kämen ja irgendwann hinterher, und Rocco würde
dann mit all den anderen, die man hienieden überlebt hat, auf uns warten.
Lindenberg hat viele Sprüche auf Lager, und es ist gewiss
naturellbedingt, ob einem der eine oder andere davon als Wegweiser taugt. Aber so
wie er guckte, als er das sagte (ohne Sonnenbrille natürlich, ganz wach und warm
blinzelte er mir zu), half es mir ein paar Meter weiter.
Im September 2006 starb dann Udos Bruder Erich Lindenberg.
Wie so häufig in Formulierungsnöten, griff ich in die lindenberglyrische
Hausapotheke, in der für jede emotionale Kippelsituation ein paar Haltegriffe zu
finden sind, und dann tippte ich ihm ein paar Trostzeilen aus seinem eigenen Werk
rüber. Mich haben sie oft gestützt, und ihn selbst doch vielleicht auch?
7. Der Deal
Vergiss nie, wir haben einen Deal
Ich lieb’ dich nur ein bisschen, aber nicht zu
viel
Im Herbst 2005 ritt mich mal wieder irgendein Teufel,
beziehungsweise ich ihn, so genau war das nicht zu sagen, jedenfalls stand ich
plötzlich im Londoner Tonstudio des Grönemeyer-Produzenten Alex Silva und nahm
gemeinsam mit der Mädchen-Rockband AK4711 eine Coverversion des
Lindenberg-Klassikers »Øle Pinguin« auf. Die Mädchen droschen auf ihre Instrumente
ein, und ich sang den Refrain mit, in dem eine meiner liebsten
Lindenberg-Wortschöpfungen vorkommt:
Manchmal ist es ’n bisschen kalt
doch wenn ich frier’
Dann greif’ ich mir ’ne Eskimöse
und wärme mich an ihr
Schön – aber warum dieses Duett? Warum, warum – irgendwie waren wir
eben darauf gekommen, was weiß denn ich. AK4711 waren bei Grönemeyers Label Grönland
unter Vertrag, in diesem sehr guten Pinguin-Text von Lindenberg kommt das Wort
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