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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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aufzustehen – es sei schließlich unser Land. Das Asylrecht! Die Autohäuser im Osten! Die Kali-Industrie! Die Krankenkassen! Schäuble! Wahlbeteiligung! Pah! Der ehemalige Postchef läuft frei herum, während jeder noch so kleine Ladendieb ins Gefängnis kommt! Aufstehen, Leute, Widerspruch, Hintern hochkriegen!
    »Vielen Dank, dass Sie Tacheles geredet haben«, dankt eine Dame mit lilafarbenem Halstuch Grass abschließend, »jedes Ihrer Worte heute hat mir aus der Seele gesprochen«.
    Dann signiert Grass viele hundert Bücher. Neben ihm wacht Verleger Steidl, klappt die Bücher auf, legt sie ihm zur Signatur vor. Am Büchertisch kaufe ich das von Kurt Beck herausgegebene Buch »›Schlagt der Äbtissin ein Schnippchen, wählt SPD!‹ – Günter Grass und die Sozialdemokratie« und stelle mich ganz hinten an in der langen Schlange vor dem Signiertisch. Als ich schließlich vor Grass stehe, sagt er spöttisch: »Ah, mein Freund!«
    Tja nun. Ich bin noch immer ziemlich aufgeregt, peinlich war das Ganze schon für mich, und doch empfand ich meine Wortmeldung als richtig. Und hat nicht Grass selbst genau solches Verhalten eingefordert? Aufstehen, die Meinung sagen, auch wenn es mal nicht gar so bequem ist? Grass ist ganz ruhig. Und ich Depp fange wieder mit Kempowski an. Das sei ja eine regelrechte Obsession, sagt Grass. Mag sein, fahre ich fort, aber ich fände es nun mal unglaublich, dass er, Grass, sich für den »Tabubruch« loben ließ, mit seiner Novelle »Im Krebsgang« die Versenkung des deutschen Flüchtlingsschiffs »Wilhelm Gustloff« thematisiert zu haben, lange nachdem Kempowski dies im »Echolot« getan hatte; und dass Grass damals obendrein gesagt hat, er habe dieses Thema einfach nicht den »Rechtsgestrickten« allein überlassen wollen – damit hat er doch wohl Kempowski gemeint, oder nicht?
    Schon klar: Diskutieren heißt für Grass, dass er mal rasch seine Meinungen durchgibt. Er guckt mich mitleidig an.
    Letzter Versuch, zu ihm durchzudringen: »Herr Grass, Sie rufen zum großen In-die-Suppe-Spucken auf, und tut man das, benehmen Sie sich, als seien Sie Helmut Kohl, und man bedränge Sie, nun endlich die legendären Spendernamen zu nennen.«
    »Günter Grass« schreibt er dennoch gütig in mein Exemplar des von Kurt Beck herausgegebenen Buchs, gibt es mir zurück und sagt, ich solle nicht so dummes Zeug reden. Ein bisschen riecht das Buch nach Rotwein, aber nur ein ganz kleines bisschen.

[ Inhalt ]
    Protest
    Es ist kalt und grau, als Barbara sich in die Sonne verwandelt. Barbara ist Aktivistin bei Attac, dem »globalisierungskritischen Netzwerk«, und ihr Sonnenkostüm hat irgendein Seminar gebastelt; »Solarenergie« steht auf der Brust des Kostüms. Die Sonne ist also die Gute, sie hat große Hände, mit denen haut sie gleich die Bösen.
    Kasperletheater vor dem Internationalen Handelszentrum in der Berliner Friedrichstraße – die Passanten interessiert das alles nicht so sehr, nichtmal die Polizei ist da, aber die Attac-Kämpfer verteilen unbeirrt Zettel, auf denen steht, dass ihr gleich beginnender Protest gegen die vier Energieversorger EnBW, E.on, RWE und Vattenfall »eine phantasievolle Aktion« gewesen sein wird. Barbara fragt ihre Freunde, wer die Trillerpfeifen hat, denn die braucht man, um so richtig schön zu nerven. Also werden gelbe Attac-Trillerpfeifen verteilt, und dann kann es losgehen.
    Vier als Könige verkleidete Jungs haben Kartons in der Hand, darauf stehen Lafontaine-Kampfbegriffe wie »Rekordgewinne« und »Preiserhöhung«. Da müssten doch die vorbeieilenden kleinen Männer und Frauen von der Straße aufhorchen, werden die Aktivisten im Bastelseminar sich gedacht haben. Jeder König stellt einen Stromversorger dar; Jutta mault in ein Megaphon, dass hier »jede Menge wütende Leute« stünden, die »stinksauer auf die Konzerne« seien. Ungefähr zehn wütende Leute sind es tatsächlich, Könige und Sonne mitgerechnet, aber wenn man die Kamerateams, Fotografen und Reporter dazuzählt, stehen nun fast 30 frierende Menschen auf dem Bürgersteig.
    Die Sonne verhaut jetzt symbolisch die Könige, Jutta und ihre paar Kampfgenossen helfen der Sonne, die Könige ordentlich zu drangsalieren, sie als »Klimakiller« und »Preistreiber« zu beschimpfen, und diearmen, nein, Verzeihung, die total bösen Könige rufen so Sachen wie »Wir wollen unser schönes Geld behalten«, »Haut ab, Bürger« oder »Wir brauchen die Politiker, die unseren Wahnsinn erlauben«. Sie fliehen Richtung

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