Auch sonntags Sprechstunde
hineinbringen?« fragte sie mich und deutete auf mein Sprechzimmer.
»Nein, um Himmels willen. Komm jetzt bloß nicht herein.«
Draußen ertönte wildes Läuten, und an der Haustür wurde geklopft.
Ich gab Sylvia einen sanften Stoß. »Nimm das Kind nach oben und versorge es. Was auch geschehen mag, bleibe oben. Ich wünsche nicht, daß du es hinunterbringst.«
Sie warf mir und der Pastete auf dem Tisch einen Blick zu und tat, was ich ihr gesagt hatte.
Im Sprechzimmer hatte Miles die Wunden geschlossen und die arme Frau mit einer Decke zugedeckt. Der Schweiß lief ihm übers Gesicht. Klingeln und Klopfen und laute Rufe drangen durchs Haus. Miles fiel in einen Stuhl.
»O. k.«, sagte er. »Jetzt kannst du die Meute hereinlassen.«
Und herein kamen sie: Polizisten, Nachbarn, Zeitungsreporter und neugierige Passanten.
Die Stifte flogen eifrig übers Papier, als Miles diese beinahe unglaubliche Geschichte erzählte.
»Wo ist das Kind, Sir, wenn ich fragen darf?« sagte der Polizeioffizier schließlich.
Ich rief Sylvia, und sie kam mit dem wimmernden Kleinen auf dem Arm herunter.
»Eine kleine Schönheit ist sie«, sagte Sylvia. »Sehen Sie nur, diese tiefblauen Augen.« Sie gab dem Polizeioffizier das kleine Bündel, der zurückwich.
»Hm, wissen Sie, es ist vielleicht seltsam, aber dürfte ich Sie bitten, das Kind noch eine halbe Stunde zu behalten? Wir müssen erst mit dem Kinderfürsorgeleiter in Verbindung treten... der Unfallwagen ist bereits abgefahren, wie Sie sehen.«
»Ich behalte es, solange Sie wünschen«, sagte Sylvia, »es ist einfach süß.«
Der Rest des Tages verging wie in einem Traum. Der arme Miles erzählte seine Geschichte hundertmal persönlich und über das Telefon. Er war bereits in den verschiedensten Posen mit seinem Panamahut fotografiert worden. Er beantwortete Frage um Frage: »Ja, wenn das Kind am Leben bleiben soll, darf der Zeitabstand zwischen dem Tod der Mutter und seiner Geburt nur sehr gering sein.« - »Nein, etwas Ähnliches habe ich noch nie zuvor gemacht.« - »Ja, die Möglichkeit, ein Kind zu holen, ist besser, wenn der Tod der Mutter plötzlich eintritt.« - »Ja, er war trotz der Eile sicher, daß er die richtige Entscheidung getroffen hatte.«
Nachdem der letzte Tropfen an Information aus uns herausgedrückt worden war, gingen alle. Wir säuberten die Sprechzimmer, und Miles fuhr heim zum Essen.
Wir beschlossen, die Tür, an der während des ganzen Nachmittags geläutet wurde, nur der Polizei zu öffnen. Den Reportern, die durch ihre Kollegen von der Geschichte erfahren hatten, sagten wir, daß es nichts Neues gäbe.
Wir ließen den Kinderfürsorgeleiter herein, der kam, um das Baby in ein Heim zu bringen, bis die notwendigen Nachforschungen über seine Familie angestellt worden waren.
Zu meiner Überraschung sagte Sylvia: »O bitte, könnte ich das Kind nicht hierbehalten? Ich meine, bis Sie die Familie ausfindig gemacht haben.«
Nachdem sich der Beamte von ihrer Kompetenz überzeugt und sie gefragt hatte, ob wir Trockenmilch im Hause hätten, sagte er zu Sylvia, er würde sich so bald wie möglich wieder melden.
Sylvia bewahrte das Baby unter meinen besorgt wachsamen und übermüdeten Augen in einer Schublade auf, während sie ging, um Flaschen, Schnuller, Windeln zu kaufen. Aus dem Paket, das sie anschleppte, quollen auch Jäckchen, Nachthemdchen, Schuhe, Morgenröckchen und eine Klapper.
»Das brauchen wir doch nicht für einige Tage«, sagte ich.
»Ich habe ein seltsames Gefühl«, sagte Sylvia und küßte das Baby auf das zarte Köpfchen. »Vielleicht wird es doch für länger sein. Ich werde sie nach Mrs. Kahn Eugénie nennen.« Unsere Blicke trafen sich. Ich erinnerte mich an eine Stimme, die vor langer Zeit gesagt hatte: »Für die nächsten. Für die Allerkleinsten, die noch kommen werden.« Und ich ging, um Napoleon, den kleinen Waschbären, aus seiner Verbannung in meinem Schreibtischkasten zu befreien.
Sylvias inneres Gefühl hatte sie nicht getrogen. Die arme Frau besaß weder Mann noch Verwandte. Das Baby hätte in ein Heim gebracht werden müssen.
»Sie hat bereits ein Heim; Penny und Peter würde das Herz brechen, wenn wir sie hergeben müßten«, sagte Sylvia und betrachtete ihre jüngste Tochter. »Vielleicht können wir sie später adoptieren.«
»Warum eigentlich nicht«, sagte der Beamte, »das wird sicher möglich sein.« Die Kleine lächelte das schwarz-weiße Gesicht von Napoleon an. »Sehen Sie, sie hat bereits einen
Weitere Kostenlose Bücher