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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Michalke
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um ihr Euter mit einer Handvoll Heu sauber zu rubbeln, und sie grunzt ihn liebevoll an. Ein mit Kraftfutterbrei vermischter Sabberfaden tropft aus ihrem Maul. Ein Bild des Friedens und der Wonne.
    »Entschuldigung«, sage ich dünn. »Die sind mir nicht mitgegangen.«
    »Jaaaaa …«, antwortet Hias, in diesem Singsang, der sich wie eine Brücke über eine schwierige Situation schlägt. »Jaaaa, des kriang ma scho.«
    Was ich höre, ist mehr Zweifel als Zuversicht. Mehr beginnendes Notfallprogramm als entspannter Auftakt. »Gaaaanz ruhig.« Das ist seine Art, habe ich später rausgefunden, das Chaos um ihn herum einzudämmen. »Jaaaaa, des werd scho.«
    Blank liegende Nerven auf der Alm sind wie schlecht isolierte Stromkabel. Morgen treffen 96 Koima, ein Ochse und zehn Puten ein. Da kann’s mir nicht wegen jeder Lappalie die Sicherung raushauen. Und dass zum Stall Gehen die alltäglichste aller Lappalien ist, haben die Damen Dora und Zenzi ja soeben vorgeführt.
    Das wird ja nett.
    Meine normale Reaktion wäre, mir ein Loch zu graben und für immer drin zu versinken. Bei Nacht und Nebel verschwinden und mich für den Rest meines Lebens elender zu fühlen als ein ungeliebter Hundehaufen, immer wenn jemand das Wort Alm ausspricht. Noch ein Trauma angehäuft, herzlichen Glückwunsch.
    Seltsamerweise passiert aber etwas anderes.
    Das Geräusch der Melkmaschine draußen im Gerätekammerl – ein hohes, immer gleiches Brummen. Der Takt des Pulsators am Melkeimer. Die kleinen Sichtgläser am Melkzeug, durch die man die Milch fließen sieht. Der immer gleiche Rhythmus von Zenzis Kiefern, wenn sie wiederkäut. Doras Schlafzimmerblick. Der Geruch nach Kuh, uraltem Holz, Sägemehl und Regen. All das zusammen wickelt sich um mich wie eine Kuscheldecke, und anstatt wie üblich von einer Welle Panik davongespült zu werden, hocke ich mich neben die Zenzi und warte, bis das Euter leer ist. Der Hias stellt eine 40 Liter fassende Alukanne neben mich. »Millipitsch’n«, sagt er. Darauf platziert er einen verbeulten Alutrichter und legt ein blütenweißes Filterpapier hinein. »Seicher.«
    Ich schütte die Milch durch den Seicher in die Millipitsch’n. Und dann melk ich die Dora. Was sie gütig erlaubt.
    Ich denke an gar nichts. Höre nur noch den Pulsator tsch-g-tsch-g machen.
    Und bin angekommen. Daheim.
    Hias hat sich unbemerkt aus dem Stall geschlichen. Das kann er. Es ist eine seiner besonderen Gaben – zu verschwinden, wenn er einen allein lassen kann. Wie stolz mich das macht – allein mit zwei Kühen im Stall gelassen zu werden. Zweifel lösen sich in Luft auf, weil der Hias mich einfach machen lässt.
    Er taucht erst wieder auf, als ich die volle Millipitsch’n zum Brunnentrog geschleppt habe und versuche, sie hoch genug zu lupfen, um sie über den Trogrand zu bringen. Quellwasser-Kühlung. Kein Kühlschrank auf der Alm. Millipitsch’n … zu schwer. Hias’ Stirn runzelt sich. Aber dieses Problem wird er wann anders lösen. Derweil nimmt er mir einfach die Millipitsch’n ab und versenkt sie im kalten Brunnenwasser. Einhändig.
    Für einen so leichten und eleganten Bogen fehlen mir eindeutig alle dafür notwendigen Muskeln. Jemand wird mir einen Kran an den Brunnen bauen müssen.
    »Vielleicht wär’s im Tal doch besser gewesen für dich?«, mutmaßt Hias’ kurzer Blick zwischen zwei leisen Platschern im Brunnenwasser.
    Ja, vielleicht, denke ich zwischen zwei Lidschlägen. Aber zurück kann ich nicht. Tut mir leid.
    Ich stelle mir vor, wie der Hias sich die Haare rauft, heute Abend, wenn er daheim ist, und zu Ami, seiner Frau, sagt: »Naa, naaa, sei tuat’s wos.« Und sie wird wissen, was er meint, leichthin nicken und ihm einen Kaffee hinstellen und ein Leberwurstbrot, das macht’s ihm leichter, rein nervlich. Und der ganze Zirkus nur, weil ich nicht einfach in einen Siedlungsneubau ziehen kann und mich glücklich in ein normales Leben fügen.
    »Des kriang ma scho.« Ich weiß nicht, wem der Hias damit Mut macht. Sich selbst, und mir auch ein bisschen. Ich atme durch, und für eine kurze Sekunde glaub ich’s ihm. Ja, des kriang’ma hi.

    Am Nachmittag sitzt Besuch auf der Hausbank unterm Rosenbusch. Ein junger Mann, kurze Lederhose, kariertes Hemd. Er grinst glücklich und sagt nichts. Hias stellt ihm ein Bier und eine Brotzeit hin und beachtet ihn nicht weiter.
    »Ich bin die Karin«, sage ich und gebe dem jungen Mann die Hand. Das überrascht ihn.
    »Hinterberger Hampi«, sagt er.
    Mein Bergfink flattert vom

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