Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Die Alm und das Leben
Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich einlasse.
Ich hab gedacht, was man halt so denkt, über die Alm. Blumenwiese, Bergluft, Milchkaffee am Hausbankerl, Glockenbimbam über sanften Sonnenhängen, weite Touren über wilde Grate, Vollmond überm Gipfelkreuz.
Große Freiheit, großes Glück.
Ich hab nicht an so viel Regen gedacht. Nicht an ein zweites Paar Bergschuhe, wenn das erste aufgeweicht ist. Und auch nicht ans tausendste Mal, dass mich einer fragt: »Sagt do dei Freind nix, wennst’ so alloa auf da Alm bist? Ha? Hähä.«
Doch, sagt er schon. Er ist mein Exfreund mittlerweile.
Mein Glück hab ich dann schon noch gefunden. Aber ganz woanders, als wo ich’s gesucht habe.
Man kommt halt nicht mehr so runter ins Tal, wie man hinaufgegangen ist auf die Alm.
Wir waren ein Traumpaar. Faust auf dem Auge. Zündschnur am Dynamitfass. Wäre bei unserer ersten Begegnung nicht ein zirbelvertäfelter Mauersturz zwischen ihm und mir gewesen, ich hätte ihm möglicherweise da schon ein Glas auf den Kopf gedroschen.
Dabei war ich damals der Sonnenschein auf der Alpenvereinshütte. Ein Übernachtungshaus für Bergtouristen auf 1900 Metern. Mein Arbeitsplatz war der Quadratmeter hinter der schummrig beleuchteten Bierschankanlage.
Und er war einer von 180 Mountainbiker-Übernachtungsgästen auf dem Weg zum Gardasee.
»Ja, bittschön?«, habe ich ihn gefragt. Lächelnd, hell und strahlend wie immer.
»A Woaz’n.« Das bedeutet Weißbier in meiner Heimat, dem oberbayrisch-schwäbischen Grenzland.
Alles hätte er sagen können. Ganz egal. Er hätte so viele Weißbiere von mir haben können, wie er trinken kann. Aber nicht in diesem Dialekt. Ein Wort, und schon tut sich vor mir das ganze weite, öde Nichts auf, das ich so mühsam hinter mir gelassen habe.
»A Woaz’n.«
Ich hab den Zapfhahn losgelassen, anstatt ihm einfach sein Weißbier einzuschenken, für das er sich bedankt, es an seinen Platz getragen und getrunken hätte, und danach vielleicht noch eins, und am nächsten Morgen wäre er eh davongeradelt, nach Italien rüber, und fertig. Hätte ich machen können. Aber ich hab ihn aus glühenden Augenschlitzen fixiert, unter dem Zirbelmauersturz durch. Und habe ihn gefragt:
»Wo kommst’n du her?«
»Des wer’sch du ’ed kenna.« Er hat gegrinst, breitbeinig dastehend wie ein Top-Fußballer auf dem Mannschaftsfoto.
»Täusch dich nicht«, hab ich gesagt. Scheinbar sanft. Scheinbar ein Kätzchen.
»Aus Ampfling.« Das Grinsen eines Siegers nach dem Spiel.
»Ha, kenn ich!« Ab hier hab ich ihn wohl eher angefaucht, als mit ihm geredet. »Ampfling hinterm Botzberg.«
Der Botzberg ist die Landkreisgrenze, wo Oberbayern aufhört und Schwaben anfängt. Der äußere Rand der zivilisierten Welt. Und alles, was hinterm Botzberg ist – Verdammnis.
Ich komme aus Tandern. Ein Dorf, auch am Rand der Welt. Auch ein Nichts. Aber ich liebe es, und es liegt vorm Botzberg. Ampfling dagegen – ganz finster. Was er nicht wahrhaben wollte. Ich hätte es ihm beinah nicht eingeschenkt, sein Weißbier.
Im Frühling waren wir ein Paar. Das Schicksal hat es uns aufgezwungen. Eine gemeinsame Skitour, und er hat mir den kompletten Lempersberg entlang vom Scheitern seiner Ehe erzählt. Bis zum Rotwand-Gipfel hab ich’s ausgehalten. Aber dann war meine Wut so groß, dass ich, ohne eineMillisekunde zu zögern, über die große Schneewechte in die Nordrinne runtergesprungen bin und eine Spur in den Schnee gelegt habe wie noch nie in meinem Leben. Eine Spur wie eine Legende. Und dann hab ich hinaufgebrüllt zu der Schneewechte und zu ihm: »Zum Scheitern eines Lebensmodells gehören immer zwei! Aber auf dich gehen mindestens 70 Prozent!«
Trotzdem ist er über Nacht geblieben, und um mich war’s für die nächsten zwei Jahre geschehen.
Für ihn war’s nur logisch, dass ich bei ihm einziehe, in das Haus, das er mit seinen eigenen Händen gebaut hat. Und dass ich sein Leben mitlebe. Es »teile«. War ja alles da. Große Küche. Waschkeller. Gepflegter Garten. Drei zu füllende Kinderzimmer, zwei Bäder, zwei Balkone. Schlafzimmer mit Schreiner-Einbauehebett und Ahornparkett auf den kompletten 300 Quadratmetern. Keine normale Frau kann zu so was Nein sagen. Es kann also nur ein Ja infrage kommen. Ja zu Fußballfreunden und Spielerfrauen. Zum Dorffriedhofsbild an Allerheiligen. Zu den Kindergartenmüttern mit ihren immer aktuellen Frisuren. Und ihren Luxuseinbauküchen mit all ihren Top-Elektrogeräten,
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