Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Zischen sie ab.
Freiheit.
Ich bin auf der Alm. Und der Rest ... Sssswwwsch.
Später trink ich noch eine Apfelschorle auf der Hausbank unterm Rosenbusch. Ein Bergfink flattert vor die Haustür. Pickt ein paar Brösel auf.
»Hallo, Herr Fink«, lächle ich. »Wohnen Sie hier?« Er flattert auf die Banklehne und schaut sich mit mir ein bisschen die Alm an.
Die Almwiese vor mir steigt sanft bis zum Gana-Stoa-Gipfel hinauf. Ein leuchtgrüner Teppich mit goldgelben Blumen. Knietief. Der Fink fliegt davon, und ich sitze da, regungslos, bis der Mond über dem Gipfelkreuz steht und die Sterne drum herum glitzern, und frage mich, ob wir Menschen wegen so was an Engel glauben.
Viel zu spät geh ich ins Bett und schlafe todmüde ein. Die Hütte erzählt mir mit ihren Nachtgeräuschen eine Geschichte. Im Traum erkenn ich sie wieder. Eine schöne Geschichte.
Ich wollt sie mir merken, hätte sie gerne erzählt.
Aber um halb sechs klingelt der Wecker. Nicht meine Zeit.
Es ist nicht mehr wirklich dunkel. Aber es ist definitiv noch Nacht für meinen Kopf.
Raus. Aufstehen. Almzeit.
1. Juni. Donnerstag. Ruhetag auf der Ganai-Alm. Keine Gäste also. Nur ich und zwei Kühe. Der Rest der Schar wird erst am Wochenende geliefert. 96 Koima und ein Ochse. Klassischen Almauftrieb gibt’s auf der Ganai nicht. Sie kommen Ladungsweise, in Lkws oder Traktoren mit Viehanhängern.
Heute ist’s noch ruhig. Zum Eingewöhnen. Heute ist der Tag, an dem ich lerne, wie weit ich komme, mit zwei Kühen auf der Alm und nichts als Tierliebe. Oder was der Unterschied ist zwischen Tierliebe und Mordlust. Kein großer Unterschied.
Eine Kuh auf der Alm bewegt sich frei, in unwegsamem Gelände und nicht immer dort, wo man sie haben muss. Tierliebe Touristinnen wie ich denken nicht an so was, wenn sie eine Kuh sehen. Dass diese Kuh manchmal von ihrem momentanen Standort wegbewegt werden muss. Aus Gründen ihrer oder meiner eigenen Sicherheit oder zur sinnvollen Weidenutzung. Oder weil das Gras, das sie so genüsslich frisst, das des Nachbarn ist, der’s selber braucht und nicht meinem gefräßigen Rindvieh im Schubkarren hinterherfahren will. Oder – und hier sind wir schon bei meinem ersten großen Problem am allerersten Tag meines Sommers als Sennerin – die Kuh muss in den Stall gehen, der sich in beachtlicher Ferne befindet, um dort gemolken zu werden. Von mir. Aber sie will nicht.
Was macht man da?
Streicheln und gut zureden? Mag sie nicht. Kennt mich nicht. Hat kein Interesse an mir als Person. Sie locken, mit Futter zum Beispiel? Reißt sie mir aus der Hand, frisst’s auf und lässt sich gern haben. Am Halsband hinter mir herziehen? – Ja, genau. Eine Fleckviehkuh wiegt 700 Kilo, wenn sie zierlich gebaut ist. Ich habe keine Chance.
Aber ich muss. Kühe melken. Denn heut Vormittag wird mich der Hias in der Alchimie der Milchverarbeitung unterweisen.
Es ist ein regnerischer Sommer. Mehr Wasser als Himmel.
Nach einer Dreiviertelstunde Zickzacklauf über die Almwiesen ist noch keine Kuh in Sicht. Ich bin nass bis auf die Haut, meine Gore-Tex-Bergschuhe sind undicht, meine Socken machen bei jedem Schritt pfcht-pfcht, und ich frage mich, wo in Gottes Namen ich jetzt wäre, als Kuh.
Das Problem bei schlechtem Wetter ist nicht allein, dass es nass und scheußlich ist. Ich höre nichts und sehe nichts. Keine Kuhglocke, keine Kuh. Eineinhalb Stunden. Ohne Kaffee! Ich bin näher dran, mich ins Gras zu setzen, zu heulen und einfach wieder abzureisen, ins Flachland, und normal zu werden, als ich zugeben möchte. Mein Handy ist abgesoffen. Sonst hätte ich meinen Freund angerufen. Aber da – ein kaum hörbares Bimm! Endlich. Am Waldrand, windgeschützt in einer Senke. Seelenruhig. Meine zwei Kühe.
»Hey, Ladys!«, schreie ich. »Höchste Zeit! Auf zum Stall!«
Ja. Da, sagt die Kuh Dora, kannst du mir einen Schuh aufblasen. Sie steht unter ihrem Baum grad gar so schön trocken und behaglich und frühstückt . Und es regnet , falls ich das noch nicht bemerkt haben sollte. In einer Dichte, die man mit einem Gartenschlauch nicht hinkriegt.
»Komm, Kuh-di Kuuuh «, singe ich, denn gemolken werden muss sie, daran führt kein Weg vorbei. Dora weist mich mit einem deutlich abschätzigen Blick nochmals auf den Wasserfall hin, der jenseits des Baumes vom Himmel fällt. Vergiss es!, sagt sie. Kommst’ morgen wieder. Dame Dora hasst es offensichtlich, ihre zarte weißgefleckte Haut nass zumachen. Zenzi, ihre ausladend gehörnte Kollegin, ist
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