Auch unter Kuehen gibt es Zicken
jemand besuchen kommt. Was ist mit Heimweh? Ein Sommer ist lang.«
Das alles plappere ich in den Hörer. Es ist ein Wunder, dass Matthias Maier am anderen Ende nicht kopfschüttelnd vor Unglauben den Hörer auflegt und seufzt: »Ah, ah, ah, ah, ah, ah, wie weit is’n kemma mit die Weiber?!«
Als ich aufhöre zu plappern, herrscht Stille im Telefonhörer. Und die Stille fragt mich: Was willst’n – was willst’n wirklich?
Als kleines Mädchen bin ich an der Hand meines Opas vor einer schwarz geräucherten Almhütte im Zillertal gestanden. Mit großen Augen hab ich die Kühe in den Stall gehen sehen. Ein runzliger Mann mit silbernen Augen hat sie gemolken. In dem Stall war’s stockfinster. Aber die Milch war wie ein leuchtend weißes Schaumbad in dem Holzeimer. Ich hab dem Opa Löcher in den Bauch gefragt. Warum sind das graue Kühe und bei uns daheim sind sie fleckig? Hat der Mann keine Melkmaschine? Gehen die Kühe dann wieder raus? Dürfen die nicht im Stall schlafen? Beim Opa haben die Kühe immer im Stall geschlafen.
Mein Opa hat seine Landwirtschaft aufgegeben, als ich vier war. Ein Drama. Sein Kuhstall ist heute eine Garage. Undaus meiner ganzen Familie hat nur meine Tante Sophie einen Bauern geheiratet.
Mit 19 hab ich meine Leidenschaft für Kühe vergessen. Ich bin ein Bergfex geworden. Im Winter skilehrern und im Sommer bedienen auf der Berghütte. Jeden Tag um halb sechs in der Früh, wenn ich mit geschwollenen Augen und Wollmütze auf dem Kopf Wursträdchen auf 150 Bergsteiger-Frühstücksteller verteilt habe, hat der brasilianische Kuhhirte von der Alm nebenan seine Kühe an meinem Küchenfenster vorbeigetrieben. Jeden Tag im Trikot von »Zico«, Weltfußballer des Jahres 1983. Jeden Tag hab ich ans Fenster geklopft und ihm ein Wurstbrot rausgereicht.
»Oi, Zico!«
»Obrigado, Lucy-in-the-sky.«
»De nada.«
Zico hat mich nach einem Schlager benannt, weil er sich den leichter merken kann als meinen Namen. Er ist anders als alle Menschen, die ich bisher getroffen habe.
In Zicos Augen hab ich’s gesehen. Das höchste Leben. Kristallklar. Über Almwiesen laufen. In abgeschnittenen Jeans und Zico-Trikot den ganzen Tag. Die Sonne und den Bergwind auf der Haut, die davon faltig wird und bronzebraun. Und seitdem weiß ich’s: So will ich leben. So hoch droben auf dem Berg.
»Ja, sehr gut, dann ...«, sage ich in das stille Telefon.
»Oiso, mir waarn dahoam.« Matthias Maier ist noch dran.
»Jetz’ gleich?«
»Ja freile.«
Also fahre ich hin. Ein kleines Dorf, gleich neben der A8, und dann ein Stück den Berg rauf. Man sieht den Chiemsee von hier.
Ein wunderschönes altes Bauernhaus schaut mir entgegen. Links daneben ein nicht ganz fertiges neues. Hausnummer 1 und 2. Zwei Kühe und ein Pony grasen auf der Wiese, und direkt auf der Zufahrt pickt der komplette HühnerstallDelikatessen aus dem Kies. Ich fahre Schlangenlinien durch die Hühner, bis eine Katze sich vor mein Auto setzt. Selbstbewusst wie ein Löwe. Keinen Millimeter rühr ich mich da weg, sagt sie. Also lasse ich den Passat stehen, wo er steht, steige aus, gehe um die Katze herum zur Haustür, und da kommt er mir schon entgegen, in Schnittschutzhose und Hut.
»Aaaahh«, zwirbelt er unter seinem Schnurrbart heraus, wischt sich die Hände an seinem graugrünen Arbeitshemd ab. Er marschiert mit ausgestreckter Hand auf mich zu, kratzt dann aber seinen Hinterkopf, hin- und hergerissen, und verschwindet durch den engen Spalt von zwei großen Schiebetoren in seine Werkstatt. Ich sehe seine kräftige Gestalt zur Werkbank huschen, etwas suchen. Mit einem Fotoalbum und einem massiven Schlüsselbund in der Hand kommt er schließlich zurück.
»Ich bin die … Äh, ich hab angerufen«, japse ich eilig, denn irgendwie rechne ich damit, dass er schnurgerade an mir vorbeiläuft, auf seinen Traktor springt und rausfährt ins Holz, um noch die paar Baumstämme rauszuschleifen, zu denen er gestern nicht mehr gekommen ist. Doch er gibt mir die Hand. »Maier Matthias. Aber do hoit’ ma uns ned auf mit Sie und so weider. I bin da Hias.«
Ich schüttle seine Holzfällerhand. »Soll ich woanders parken? Die Katze ...«
»Naaa, naaa, mir roas’n eh glei.« Hias eilt voraus zur Haustür. Ich hinterher. Mit einem der vielen Schlüssel sperrt er auf.
»Amiiiii!«, schreit er die Treppe hinauf. »’etz waar’ ma do!«
Ami ist seine Frau Amalia. Sie hat Kaffee gekocht, Kuchen gebacken und den Tisch in der »scheena Stu’m« gedeckt. Ihr
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