Auf Amerika
beantworten.
Vater, warst du ein Nazi?
Ich hörte auf, Fragen zu stellen.
26
Ein Auto fährt in den Lammerhof, ein Auto, das man Amischlitten nennt. Ein Mann steigt aus und geht ins Haus. Wir schleichen um das Auto herum. Ab und zu, wenn der Benno und ich zur nahen Autobahn hinaufgehen und uns die vorbeifahrenden Fahrzeuge ansehen, ist so ein Auto dabei. So was, sagt die Lammermutter, brauchen nur feine Leute aus der Stadt, und der Herbert, der die Schwester vom Lammervater geheiratet hat, gehört jetzt zu denen.
Während sich mein Vater mit seinem Namensvetter über Politik unterhält, verlässt der Lammervater das Haus, und die Lammermutter packt Eier, Butter, Geselchtes, ein gerupftes Huhn und Kartoffeln ein. Das nimmt der Mann an sich und geht. Selten bleibt er länger als eine halbe Stunde. Einmal hat er seine Frau und seine Tochter dabei. Die bleiben im Auto sitzen, während er seinen Besuch abstattet. Ich verstehe das nicht, wo doch die Frau eine Schwester vom Lammervater ist. Der Sepp schimpft jedes Mal, wenn der Mann wieder weg ist. Der kommt, sagt er, nur noch zum Schnorren. Der ist undankbar und hat wohl vergessen, was man hier für ihn getan hat, jetzt, wo er in der Stadt wieder jemand ist. Ich kann mir das erst einmal gar nicht zusammenreimen. Mit der Zeit erfahre ich, daß man den Mann in der Nazizeit auf dem Lammerhof in der Scheune versteckt hat, weil er einen jüdischen Vater hatte. Das, so sagt mein Vater einmal, war für die Lammers lebensgefährlich. Die Lammermutter erzählt, wie man den einzigen Hitlerischen, den Lechner, der das natürlich mitbekam, mit allerlei Zuwendungen stillgehalten hat.
Nach einigen Jahren hören die Besuche auf. Gut so, sagt der Sepp, sonst hau ich ihm einmal sein Luxusauto kaputt.
Die Lammermutter sagt, vielleicht ist er so, wie er ist, der Herbert, weil er halt ein Jud ist.
In Hausen hört man nichts mehr von dem Mann. Später sieht man ihn im Fernsehen, wo er fast dreißig Jahre lang eine Ratesendung hat.
27
Vom Sterben redeten sie oft und gerne beim Bier, und davon, dass es doch ein großes Glück ist, wenn einer als Leiche nicht im russischen Eis liege oder irgendwo in einem Fluss in Frankreich oder auf einem Soldatenfriedhof mit Tausenden von Kreuzen, sondern daheim im Grab, wo er hingehöre, wo die Verwandten liegen und man daheim sei. Wenn schon tot, dann daheim.
Ihm sei ums Sterben und den Tod nicht angst, sagte der alte Holzer, weil er weiß, wo er hinkommt als Toter. Er habe sein Grab. Das hätten die Schlesier und die Sudeterer auch gerne gehabt. Aber denen hatte der Russe ihre Heimat genommen, ihre Häuser und Felder, und ihre Gräber sowieso. In die, sagte der Kreitmeier, legt sich jetzt der gestorbene Russe hinein oder der Pollack oder sonst wer. Noch war ja von den Zugewanderten nur der Feirer gestorben, da hatten sie für den ein neues Grab aufgemacht. Wenn sie aber einmal alle sterben, die Zugelaufenen aus dem Unterdorf, sagte der Wirt, dann wird man den Friedhof erweitern, dann wird der Lammer ein Stück von seinem Hausacker hergeben müssen. Für einen Sudeterer sein Grab gebe er nichts her, sagte der Lammervater, wo käme er da hin? Sollen sie doch einen Friedhof im Unterdorf bauen, einen Extrafriedhof für die Zugelaufenen, wo die dann vis-à-vis von ihren Häusern ihr Grab haben. Da müsse man doch keinen toten Sudeterer bis ins Oberdorf hinauftragen, wenn man ihn im Unterdorf eingraben könne. Der Krimmer-Sebastian war auch für einen Sudeterer- und Schlesierfriedhof im Unterdorf. Da sind sie unter sich und aus. Mein Vater sagte, dass man doch einfach einmal rechnen solle, denn die hergezogenen Flüchtlinge seien doch nicht mehr, als Gefallene auf der Kriegertafel dort über dem Tisch draufstünden, die ja faktisch jeder einen Grabplatz hergeben würden durch die Tatsache, dass sie in Russland oder anderswo ihre letzte Ruhe gefunden hätten. Ob er im Ernst meine, dass ihm ein Schlesier oder ein Sudeterer in sein Grab komme, fragte der alte Kranz. Der Messmer-Ludwig träumte bei all der Diskutiererei schon wieder vom Meer und hörte es rauschen. Darauf hätte er auch im Tod nicht verzichten wollen, darum träumte er von einer Seebestattung, gleich hinter seinem Haus. Aber er beschloss, den anderen nichts zu sagen, sie würden ihn ja doch nur wieder auslachen.
Deine Rechnung, Seiler, ist ein Schmarrn, sagte der Wirt, weil sich ja die Zugelaufenen auch vermehren. Das muss man ihnen halt verbieten, sagte der Kreitmeier-Jakob, ein Kerl, der
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