Auf Amerika
nicht davonlaufen. Er sei sich nicht sicher, aber er glaube, da sei das Verbrennen die menschlichere Form der Bestrafung – das Vergasen sowieso. Darüber konnte mangels Erfahrungswerten keine Einigung erzielt werden. Was blieb, war, dass mein Vater weiterhin, wie seit einem halben Jahr schon, das Hühnerfutter eines städtischen Hühnerfutterherstellers an die Bauern verkaufen musste, was insofern ein hart verdientes Brot war, als die Bauern in der Mehrheit sagten: Das hat es doch bisher auch nicht gebraucht.
Der Messmer-Ludwig sagte, nachdem er sein letztes Bier getrunken hatte, dass für ihn nur eine Seebestattung im Meer gleich hinter seinem Haus in Frage komme.
Sie lachten ihn aus und versuchten ihm vergeblich klarzumachen, dass doch hinter seinem Haus nur die Jauchegrube ist, was sie in nüchternem Zustand niemals getan hätten.
Da lächelte er, wusste er es doch besser.
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Meine Sprache ist keine Seilervatersprache und keine Seilermuttersprache, sondern eine Lammermuttersprache. Und in der Sprache, die also nicht die Sprache meiner Eltern ist, sagt man auf Amerika. Einer geht auf Amerika. Der Bauer Sixt aus Kleineisenbach ist mit seiner Familie auf Amerika gegangen. Man hat, heißt es, von ihm nie mehr was gehört.
Auch wenn man von Hausen nach Oberhausen hinaufgeht, sagt man, man geht auf Oberhausen. Das sagt man aber nicht, weil man nach Oberhausen den Berg hinaufgehen muss, sondern weil man halt sagt, dass man auf Oberhausen geht. Wenn man ins Moos hinunter nach Niederhausen geht, sagt man auch, dass man auf Niederhausen geht.
Und die Pilger gehen auf Rom hinunter, weil Rom auf der Landkarte unten ist, und wer zum Oktoberfest geht, geht auf München hinein, und nach Regensburg geht man auf Regensburg hinauf, und wer nach Amerika hinüber geht, der geht auf Amerika. So sagt man das halt bei uns. Und man sagt geht, auch wenn man fährt oder fliegt oder mit dem Schiff hinkommt.
Meine Sprache ist eine Lammermuttersprache.
Mein Vater, obwohl er sich darum bemüht, und meine Mutter, die solche Bemühung grundsätzlich ablehnt, lernen meine Muttersprache nie.
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Der Stoff-Franz war Bauer und Hochzeitslader, Musiker und Alleinunterhalter. Er war wie mein Vater und der Huber-Jakob, der Viehhändler, ein Meister im Reden. Als Hochzeitslader musste er von Hof zu Hof gehen und im Namen des Brautpaares zur Hochzeitsfeier einladen. Am Abend der Hochzeit hatte er dann seinen Auftritt. Er sprach und sang in Reimen, wobei er sich meistens über das Hochzeitspaar und die Gäste in Versen und Liedern lustig machte.
Der Thalhammer-Simon, ihr kennt ihn gut,
der ist ein rechter Tunichtgut
und auch ein ganz ein verreckter Hund
Franz, hat er gesagt, tu meine Hochzeit kund.
Da hab ich dann erst mal recht dumm geschaut
und gefragt, ja welche von den fünfen ist denn
die Braut?
Der Franz spielte wunderbar Trompete. Das hatte er bei einem Lehrer in der Stadt gelernt. Es hieß, dass der Trompetenlehrer gesagt hat, der Franz sollte mit seinem Talent Berufsmusiker werden und in der Stadt bei einem großen Orchester spielen. Ich hab ja schon zwei Berufe, hat der Franz gesagt, noch einen brauch ich nicht.
Meine Mutter mochte den Franz. Als sie ein Klavier hatte, kam der Franz manchmal mit seiner Trompete, und sie machten Musik. Das war dann eine ganz andere Musik als die, die der Franz bei einer Hochzeit machte. Es ist ein Jammer, sagte meine Mutter manchmal, dass so ein begabter Mensch, der in den Konzertsälen der Welt spielen könnte, Bauer und Hochzeitslader ist. Von beidem hielt meine Mutter nichts. Es ist schade, sagte sie, dass so ein Talent vor die Hunde geht, unentdeckt bleibt, der Welt verlorengeht.
So gut er mit der Trompete umgehen konnte, so begabt war der Franz auch mit dem Mundwerk. Wenn er nach der Hausmusik mit meinem Vater im Garten saß, dann erzählte er Geschichten von allen möglichen Leuten, von heiratswilligen Junggesellen und sich zierenden Jungfrauen, von Mitgift und bösen Schwiegermüttern, von herrschsüchtigen Vätern und unterdrückten Söhnen, von Kuckuckskindern und menschlichen Katastrophen schlechthin, von manchem, das sich meiner Aufmerksamkeit entzog, weil es intimer, sozusagen geflüstert weitergegeben wurde. Oder weil ich es nicht verstand. Was wahr und was erfunden war, das wusste niemand.
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Einmal erzählt der Franz von einem Bauern aus dem Niederbayerischen.
Der Bauer Sollner aus Bercha in Niederbayern hat eine Frau, zwei kleine Söhne und hundertfünfzig Rindviecher.
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