Auf Amerika
Regeln der Kunst, versuchten ihm etwas zu entlocken, kramten das wenige zusammen, das sie über Amerika wussten, er aber lächelte und schwieg.
Er war jetzt ein anderer.
Für seine Herkunft hatte sich außer dem Seiler nie jemand interessiert. Er war da, gehörte hierher und aus. Jetzt aber, da sie über zehn Tage in seinem Leben nichts wussten, machte es sie schier verrückt. Sie wurden laut, beanspruchten ein Recht auf Auskunft, beschimpften ihn sogar.
Lasst ihn in Ruhe, sagte mein Vater, vielleicht hat er Furchtbares erlebt. Irgendwann wird er es schon erzählen.
Es hat halt was Wichtiges erledigt werden müssen, sagte der Veit. Dann schwieg er wieder.
Die Gelassenheit, mit der Veit ihre Neugier ertrug, sprach nicht für die Theorie meines Vaters. Das dachten fast alle. Und so erhärtete sich der Verdacht und wurde für viele zur Gewissheit: Der Veit hatte ein Erbe gemacht, war ein reicher Mann, hatte sein Geld irgendwo auf einer Bank und lebte aber sein Leben so weiter wie bisher.
Die Wirtsleute, vor allem aber die Wirtstochter behandelten ihn fortan und bis zu seinem Tode liebevoller, als sie das ohne eine Hoffnung auf ein Erbe getan hätten.
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Warst du auf Amerika?, frage ich den Veit.
Ja, freilich. Darfst es aber keinem sagen.
Ich sag’s keinem.
Nie?
Nie!
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1994 im Sommer. Ich bin gerade fünfzig geworden. Der Veit wäre jetzt neunzig, wenn er nicht vor elf Jahren gestorben wäre. Im Juli gibt es in der Kreisstadt, wo ich aufs Gymnasium ging, ein Klassentreffen. Dreißig Jahre sind seit dem Abitur vergangen. Ich wohne jetzt im Norden der Republik und fliege zum Großflughafen, den man nach dem Vorsitzenden Franz Josef Strauß benannt hat und gegen den mein Vater in seinen letzten Jahren so redlich gekämpft hat. Es war ein Kampf, der mir einen ganz anderen Vater gezeigt hat, einen Mann, der sich für eine Sache eingesetzt hat, stellvertretend für seine Mitbürger, die sich nicht so wie er artikulieren konnten. Natürlich gehörte er zu den Wortführern, aber er war nicht mehr der Sprücheklopfer, der Angeber, nein, es ging ihm sehr ernst um die Sache. Hausen war über die Jahrzehnte ihm, dem Berliner, Heimat geworden, die zu schützen ihm ein Anliegen war, das ernsthafteste seines Lebens vielleicht. Er wollte nicht, dass über Hausen die Flugzeuge im An- und Abflug hinwegdonnern. Mein Vater und seine Mitstreiter haben den Kampf verloren. Ein konservativer Politiker, der als Schüler in meine Parallelklasse ging, hat sie gelinkt. Mit Zustimmung seines großen Vorsitzenden, vielleicht auch auf dessen Geheiß, kämpfte er auf ihrer Seite gegen das Projekt. Niemand ahnte, dass seine Haltung, die sich ja schließlich gegen seine Partei richtete, abgekartetes Spiel war. Zu gutgläubig waren die Flughafengegner. Leider, sagte der angebliche Mitstreiter später, habe er sich nicht durchsetzen können. Sein Einsatz wurde mit einem Ministeramt belohnt.
Mit dem Streit um den Flughafen war die Politik nach Hausen gekommen, die dort doch nicht einmal in der Nazizeit hatte Fuß fassen können. Die Bauern, die es noch gab, gerieten plötzlich in Gewissenskonflikte. Kämpfen, dableiben, die Stellung halten, sich wehren oder alles so hinnehmen oder den Nutzen ziehen, Grund und Boden an Frachtunternehmen verkaufen, die die Nähe zum Flughafen gut bezahlten. Einige Bauern wählten diesen Weg. Sie wohnen jetzt in Eigenheimreihenhäuschen mit S-Bahn-Anschluss, und über ihren Sofas in den Wohnstuben hängt eine Luftbildfarbaufnahme von ihrem einstigen Hof.
Auf einmal gab es im friedlichen, verschlafenen Hausen Versammlungen der Bürgerinitiative, Protestveranstaltungen, Bürgerbefragungen. Es gingen Unterschriftenlisten und Spendenaufrufe für Gutachten herum, und mein Vater wurde plötzlich von vielen Leuten ernst genommen. Er sprach vom Nebelloch, von gefährlichen Absenkungen des Grundwasserspiegels, von negativen Bodenproben und vom Recht auf Nachtruhe, von den körperlichen Schädigungen durch den Fluglärm und von der Tatsache, dass im Süden Münchens die Politbonzen wohnen, weswegen man dort den Flughafen nicht wolle. Aber die Hausener, auch die längst einverleibten Zugezogenen, die derlei Umtriebe nicht gewohnt waren, taten sich schwer.
Seiler, jetzt gib halt einmal eine Ruh. Das braucht’s doch nicht, dass ich da unterschreib. Man kann doch eh nichts machen. Die da oben tun doch, was sie wollen, die lachen doch über uns, die haben doch längst alles beschlossen, das hat man doch seinerzeit mit der
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