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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Schroeder
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flogen?
    Weißt du noch, wie lustig es immer war, wenn wir bei dir auf dem Dorf draußen waren und dein Vater eine Geschichte nach der anderen erzählt hat?
    Ja, das weiß ich noch. Und ich habe mich immer geschämt für ihn.
    Warum das denn?
    Erstens war er meistens betrunken, und zweitens kannte ich die Geschichten ja alle.
    Komm, dein Vater war doch ein lustiger Vogel.
    Erwin, Sohn eines Bankdirektors, jetzt auch Banker, Leiter einer kleinen Filiale in einem Münchner Vorort, wohlhabend verheiratet, selbst das, was man als einen lustigen Vogel bezeichnen könnte, geistig und emotional auf dem Niveau des Gymnasiasten stehengeblieben, sagt das so lapidar dahin. Hat er das nicht damals auch schon gesagt?
    Ein lustiger Vogel.
    War er das?, frage ich mich. Ja, das war er auch, ein lustiger Vogel.

83
    So darf ich Sie also jetzt im schönsten Biergarten meines Wahlkreises in meiner wunderschönen Heimatstadt auf das Herzlichste begrüßen, meine Damen und Herren, essen Sie, trinken Sie und verleben Sie noch einen schönen Nachmittag an diesem herrlichen Ort! Ich danke Ihnen im Namen der CSU für Ihren Besuch und hoffe, dass Sie wertvolle Erkenntnisse von unserer politischen Arbeit mitnehmen werden. Danke.
    Applaus.
    Ich erkenne bei den ersten Worten die Stimme und suche die Person dazu. Ich sehe ein hässliches, mürrisches, aus allen Fugen geratenes, feistes Gesicht. Er ist es, der Politiker, dem mein Vater und seine Mitstreiter in Sachen Flughafen damals auf den Leim gegangen sind. Er hat Karriere gemacht, sitzt in München im Parlament, absolviert wohl gerade im Sinne von Wahlkreisarbeit einen Termin mit einer Gruppe von etwa zwanzig Leuten verschiedenen Alters.
    Er wird ihnen die Stadt gezeigt haben und vom Vorteil gesprochen haben, den die Stadt durch den Flughafen gewonnen hat, sie werden Kugelschreiber mit dem Aufdruck seiner Partei und von ihm signierte farbige Autogrammkarten mit dem lächelnden, neue Zähne zeigenden Gesicht des Abgeordneten bekommen haben, er wird von seinen Leistungen und seiner Wichtigkeit und vom Erhalt der Heimat und vom Fortschritt und der Gefahr durch Überfremdung gesprochen und er wird jedem einmal die Hand geschüttelt haben.
    Und hier im Biergarten, wo die Partei noch einen ausgibt, endet wohl die Mission. Nach den wenigen Worten lehnt er sich zurück, beachtet die Menschen am Tisch nicht mehr, unterhält sich ausschließlich mit einem jungen Mann an seiner Seite, seinem Sekretär eventuell, scheint schlecht gelaunt zu sein, zeigt, dass ihn dieser Teil seiner Arbeit ankotzt. Aber warum, frage ich mich, hält er nicht durch bis zum Ende? Warum kümmert er sich nicht mehr um die Menschen? Sie müssen ihm doch seine Verachtung für sie ansehen. Warum gibt er nicht wenigstens den freundlichen Habt-mich-alle-lieb-Politiker mit dem wenn auch aufgesetzten Lächeln, das manchem von diesen Politikern geradezu ins Gesicht gemeißelt zu sein scheint und das er auf seinen Autogrammkarten zeigt? Hat er das nicht mehr nötig? Hat er das nicht gelernt? Ist er tatsächlich so charakterlos, wie Stationen seiner Karriere das gezeigt haben?
    Als ich von der Toilette zurückkomme, bricht er mit seinem Adlatus gerade auf. Wir begegnen uns, schauen uns an. Ein Erkennen, das von beiden Seiten keines sein will.
    Als ich am Tisch seiner sich angeregt unterhaltenden Gäste vorbeikomme, sehe ich weiße Stöcke, starre Blicke. Armbinden mit drei Punkten. Es sind Blinde. Denen musste er freilich nicht ein nach Anerkennung heischendes freundliches Politikergesicht vorspielen. Nur Blinde, so wie der Mann, den er vor zehn Jahren im Suff totgefahren hat, nur ein Pole war, weswegen er auch nur zwölf Monate auf Bewährung bekam – und den Chefsessel einer parteinahen Stiftung. Inzwischen ist er wieder Parlamentarier, zurzeit bayerischer Wirtschaftsminister.

84
    Die Flugzeuge über mir begleiten mich nach Hausen. Erbarmungslos donnern sie über das Dorf im Minutentakt.
    Lieber Vater, wie gut, dass du das nicht mehr erleben musst. Was für ein geschundenes Dorf! Es gibt keine Gastwirtschaft mehr, keinen Metzger, keinen Kramerladen, keinen Schuster, keinen Schmied, keine Post. Die Landwirtschaft ist auf drei Großbauern zusammengeschmolzen. Zwei von ihnen machen nur noch Bullenmast, einer Schweinemast. Sein Betrieb stinkt zum Himmel. Die Scheunen der Kleinbauern sind Lagerhallen für irgendwelche Luftfrachtfirmen, die größte Halle ist da, wo einmal das Paradies war. Höfe vergammeln, wie der Lammerhof, der jetzt

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