Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt
die hier verhandelt wird, können schnell krank machen.
|56| Später hörte ich, dass das Landgericht dem Angeklagten tatsächlich eine Strafmilderung zugebilligt und ihn zu vierzehn Jahren Freiheitsstrafe (Mord im Zustand verminderter Schuldfähigkeit) verurteilt hatte. Mit etwas Glück kann der damals circa dreißigjährige Täter im Alter von vierzig Jahren schon wieder auf freiem Fuß sein. Obwohl er insgesamt drei Menschenleben auf dem Gewissen hat. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein, wobei ich nie erfahren habe, was dabei herauskam.
Am Freitagabend vor meiner ersten Sitzungswoche trollte ich mich gegen 20 Uhr mit Anna in Richtung Ausgang des Kriminalgerichts. Die fünf Sitzungsakten für Montag hatte ich zur Vorbereitung mitgenommen. Warum auch weggehen, fernsehen oder Bücher lesen? Man hatte doch alles da. Das pralle Leben sprang einem aus den Akten förmlich entgegen.
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Mein erster Sitzungstag
A m Montagmorgen um 9 Uhr war es dann so weit. Zunächst ging ich in mein Zimmer, um die weiße Krawatte anzulegen und mir meine schwarze Robe zu schnappen. Die Pflicht, eine schwarze Robe zu tragen, geht auf eine Anordnung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. zurück. Er war ein weitsichtiger Mann. Schon 1726 verfügte er: »Wir ordnen und befehlen hiermit allen Ernstes, daß die Advocati wollene schwartze Mäntel, welche bis unter das Knie gehen, unserer Verordnung gemäß zu tragen haben, damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennt.« Mit meiner Robe über dem Arm suchte ich mir einen Weg zum Sitzungssaal. Die Akten hatte ich am Wochenende durchgearbeitet. Die Anklage war von anderen Abteilungen der Staatsanwaltschaft erhoben worden. Üblicherweise tritt der Staatsanwalt, der die Anklage verfasst, nicht selbst in der Hauptverhandlung auf. Dadurch soll die Objektivität der Staatsanwaltschaft gewährleistet werden. Der Staatsanwalt soll nicht »verbissen« an seinen eigenen Fällen kämpfen. Außerdem hat man so gebündelt ein oder zwei Sitzungstage pro Woche und muss nicht zu den unterschiedlichsten Zeiten zu irgendwelchen Terminen. Immerhin wird in Moabit teilweise in fünfzig Sitzungssälen gleichzeitig verhandelt.
Zur Vorbereitung der Fälle gehört, dass man sich den einschlägigen Strafrahmen sowie mögliche strafschärfende und |58| strafmildernde Gründe vergegenwärtigt. Nach Beendigung der Beweisaufnahme hält der Staatsanwalt (vor dem Verteidiger) sein Abschlussplädoyer, in welchem er eine bestimmte Strafe oder einen Freispruch begründet und beantragt.
Bei den ersten vier der zu verhandelnden fünf Fälle handelte es sich um Diebstahl, Nötigung, schweren Hausfriedensbruch und Verletzung der Unterhaltspflicht. Sie waren schnell beendet. In zwei Fällen erschien der geladene Angeklagte nicht. Der Richter erließ einen Haftbefehl. In den anderen beiden Verfahren waren die Angeklagten geständig, sodass sich eine Beweisaufnahme erübrigte. Es wurden dann gleich die Abschlussplädoyers gehalten.
Der letzte Fall gestaltete sich schwieriger. Angeklagt war eine Scheinehe. Ist eine Ehe nur zum Schein geschlossen, um einem Ehepartner die Einreise zu ermöglichen und ein Bleiberecht zu verschaffen, handelt es sich um eine Straftat nach dem Ausländergesetz. Bei einer Verurteilung wird der ausländische Ehepartner abgeschoben. Für den Angeklagten stand somit alles auf dem Spiel. Normalerweise sind diese Delikte vor Gericht nur sehr schwer zu beweisen. Dies gilt insbesondere, wenn der ausländische Ehepartner sich tatsächlich (zumindest mehrmals wöchentlich) in der gemeinsamen Wohnung aufhält. In dem angeklagten Fall hatten sich bei einer Hausdurchsuchung aber weder Bekleidungsstücke des Angeklagten noch andere Hinweise auf dessen Anwesenheit in der »gemeinsamen« Wohnung, wie z. B. Rasierzeug, gefunden. Auch fehlten Spuren erwarteter Zweisamkeit, wie sie sich etwa in zwei sich liebevoll anblickenden Zahnbürsten in einem Zahnputzbecher spiegelt.
Einzige Aufgabe der Verteidigung war es, beim Gericht Zweifel hinsichtlich einer Scheinehe zu wecken, nicht jedoch |59| das Vorliegen einer echten Ehe zu beweisen. Bleiben letzte (nicht nur theoretische) Zweifel, so ist nach der sogenannten Unschuldsvermutung zugunsten des Angeklagten zu entscheiden. Doch das Säen von Zweifeln gelang dem Verteidiger nicht. Auch durch die Vorlage von vierzig Hochzeitsfotos konnte er beim Gericht nichts erreichen. Der Verteidiger wollte belegen, dass eine richtig große Hochzeit
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