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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pragst
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zunutze. Vermeintliche Spurenträger wurden überprüft und eingedenk möglicher künftiger wissenschaftlicher Erkenntnisse vorsorglich selbst dann aufgehoben, wenn eine DN A-Analyse erfolglos war. So schlummerten die Masken aus dem Überfall auf den kleinen Laden von Erika und Werner L., sorgfältig in Plastiktüten verschweißt, seit zwei Jahren in einer Asservatenkiste vor sich hin.
    Kriminaloberkommissar Konrad legte seine Fachzeitschrift grübelnd zur Seite. Längst war es üblich, sich laufend über neueste Entwicklungen auf dem Gebiet der Kriminaltechnik zu informieren. Und da gab es so einiges. Zum Beispiel diese neue Möglichkeit der Vermehrung einzelner DN A-Moleküle , mit der man aus deutlich kleineren Spuren als früher brauchbare DN A-Mengen gewinnen konnte. Bei Spurenträgern wie Handschuhen, Mützen oder Masken werde man in der Regel fündig, hieß es da. Es bedürfe nur einer intensiven Suche. Konrad druckte sich eine lange Liste seiner alten ungelösten (und eigentlich hoffnungslosen) Ermittlungsverfahren aus. Aus den Augen heißt eben nicht aus dem Sinn. Es kam öfter vor, dass er sich plötzlich an den einen oder anderen alten Fall erinnerte. Als er die Liste überflog, wusste er bei vielen Delikten gleich, worum |51| es ging. Ab und zu hatte er sogar noch die Gesichter der Geschädigten vor Augen, die ihn fragend ansahen. Am Wochenende würde er herkommen und die Fälle nochmals einzeln durchforsten. Seit seiner Scheidung hatte er ohnehin viel Zeit. Seinen Sohn Lukas würde er erst nächstes Wochenende sehen. Er plante, eine kleinere Liste mit erfolgversprechenden Spurenträgern zusammenzustellen und sie seinem Chef vorzulegen. Der würde ihm wieder einen Vortrag über die erheblichen Kosten (gut 500   Euro pro Untersuchung), die geringe Erfolgsquote bei Zweituntersuchungen und die langen Wartezeiten bei den Labors halten. Es gebe schließlich auch frische Spuren, die schnellstmöglich untersucht werden müssten. Letztlich würde er den Antrag aber genehmigen.
    Dann musste er »nur« noch auf die Ergebnisse warten. Die polizeitechnische Untersuchungsstelle der Berliner Polizei (PTU) war hoffnungslos ausgebucht. Die Polizei weigerte sich aus Kostengründen, Aufträge extern an die gerichtsmedizinischen Institute der Universitäten zu vergeben. Fälle, in denen es sich um Mord handelte oder Beschuldigte bereits in Untersuchungshaft saßen, wurden natürlich vorgezogen. Alte Fälle hingegen wie die von Kriminaloberkommissar Konrad standen ganz hinten auf der Warteliste. Die Wartezeiten waren teilweise auf vier Jahre angewachsen.

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Der Aktenberg wächst
    H ier sind Ihre Handakten für die Sitzungen nächste Woche – warum gucken Sie denn so komisch?« Fünf graue Akten landeten auf meinem Schreibtisch, während Frau Henz von der Geschäftsstelle triumphierend verschwand. Anna konnte sich ein Grinsen über das Leid auf der anderen Seite der zusammengeschobenen Schreibtische nicht verkneifen. »Ach ja, das hatte ich vergessen zu erwähnen. Auch die Anfänger müssen nach circa fünf bis sechs Wochen am staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienst teilnehmen. Ist ein- bis zweimal die Woche und dauert so von 9 bis 15   Uhr.« Mein festes System (Bearbeitung der täglich eingehenden Aktenflut, Gegenzeichnung durch Jens, Bauchwehstapel genau im Auge behalten), mit dem ich mich Ende Januar mehr schlecht als recht arrangiert hatte, wurde nun in seinen Grundfesten erschüttert. Es war nicht nur die reine Sitzungszeit, die ich abschreiben konnte, die Akten mussten schließlich auch vorbereitet werden (wohl am Wochenende). Nahmen die Grausamkeiten denn gar kein Ende?
     
    Jede Anklage, die ein Staatsanwalt erhebt, führt zu einer Hauptverhandlung vor einem Strafgericht. Neben den Richtern und dem Angeklagten (gegebenenfalls mit Verteidiger) nimmt auch ein Staatsanwalt teil. Und natürlich das interessierte |53| Publikum. Denn die Verhandlungen werden grundsätzlich öffentlich durchgeführt.
    Früher, kurz nach der Eröffnung des Kriminalgerichts, waren diese Verhandlungen eine echte Attraktion. Es gab nur ein paar Kinos, in denen Stummfilme von zehn Minuten Länge liefen, noch kein Fernsehen und keine DVDs, die das Interesse an Straftaten heute ziemlich abdecken. Damals wurden bei Sensationsprozessen unter der Hand für Einlasskarten vierzig bis fünfzig Mark bezahlt, was viel Geld war. Es gab berühmte Vorsitzende Richter und Staatsanwälte. Fotografen wetteiferten darum, sie für Berliner Illustrierte auf

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