Auf dem Maniototo - Roman
rundlich und hatte schütteres blondes Haar. Seine Augen waren groß und dunkel, mit Schatten in den tiefen Mulden darunter. Er sah aus wie einer dieser verzweifelten Menschen mit glitzernden Augen, die einen auf der Straße anhalten und um Geld bitten. Dennoch wirkte er durchaus heiter.
«Hallo. Kommt rein.»
«Ich habe Ihre Ohrringe immer noch», sagte ich hastig anstelle einer Vorstellung und zur gönnerhaften Aufmunterung. Langsam gewöhnte ich mich an den herzzerreißenden Anblick von Menschen, die ohne Hoffnung in Armut und Einsamkeit lebten.
«Und die Brosche, die Brian mir geschickt hat. Die, die aussieht wie ein Seestern. Alle bewundern sie. Er hat sie mir bis nach Neuseeland geschickt!», sagte ich etwas einfältig, während wir uns einen Weg durch die Stapel von Kleidern und Kleinkram in dem großen Zimmer bahnten, das Tommys «Atelierwohnung» war, nämlich ein einziges Zimmer mit allen zum Leben notwendigen Einrichtungen, das durch die Pappwände, welche die Schlaf-, Koch-, Ess- und Ausscheidungsvorgänge auf diskrete Weise voneinander trennten und abschirmten, annehmbarer wurde. In einer Ecke des Zimmersstand ein großer Diwan mit zerknüllten Kissen und verknäuelten Leintüchern. An derselben Wand stand eine mit Werkzeugen, Materialien und unfertigen Schmuckstücken übersäte Werkbank. Ein großer leerer Vogelkäfig mit dem Schild «Zu vermieten» hing von der Decke, und direkt neben dem Bett stand ein kleiner runder Tisch, auf dem verstreut ein paar Hundekuchen neben einer geöffneten Packung lagen. Die Stückchen waren grau wie Kitt, sahen aus wie Rattengift und waren so groß wie Cocktailhäppchen.
«Entschuldigt den Geruch», sagte Tommy. «Gerade erst habe ich Connie weggeschafft, richtig begraben konnte ich sie nicht. Erinnerst du dich an Connie?»
«Ja», sagte Brian, er erinnere sich. «Ein Terrier, nicht, oder war es ein Apricotpudel?»
Brian, von Natur und aus Erfahrung selbstgenügsam, sagte immer, er könne nur schwer verstehen, warum Leute sich Haustiere halten, und wenn er eine solche Bemerkung machte, die für ihn ein Urteil war, wusste ich nie, ob ich ihn für seinen Mangel an Phantasie verurteilen oder für seine Ehrlichkeit loben sollte, denn ich selbst neigte zur Ansicht, «alles zu verstehen», und mithin zu dem arroganten Gedanken, auch «alles zu wissen».
Ich sah das Missfallen in Brians Blick, als er von Connie sprach. «Natürlich! Connie, dein Apricotpudel. Ich weiß, wie gern du sie hattest.»
Tommy begann zu weinen und brachte uns damit in Verlegenheit.
«Als sie starb, brach eine Welt für mich zusammen. Es ist erst eine Woche her. Ich war in Paris, wisst ihr.»
Wir wussten es. Ich wusste auch, dass er beim Freund eines Freundes des berühmten Bildhauers gewohnt hatte, aberTommy war nicht ein Mensch, der aus solchen Quellen Ruhm schöpfte, womöglich genug, um davon zu leben. Nur Connie war von Bedeutung.
«Dieser Typ in der Lafayette Avenue hatte auf sie aufgepasst, und als ich nach Hause kam, freute sich Connie wie verrückt. Dann starb sie, ganz plötzlich. Erst gestern habe ich sie mit dem Abfall hinausgetragen. Wohin soll man mit einem Leichnam, wenn es keine Erde mehr gibt, in der man ihn begraben kann?» Er hatte aufgehört zu weinen. Er legte sich auf den Diwan und starrte an die Decke.
«Es war entsetzlich, sie mit dem Abfall hinauszutragen. Meine Connie. Aber wohin sonst?»
«Wohin?», wiederholte ich.
«Was macht die Arbeit?», sagte Tommy zu Brian. «Immer noch an der Klinik?»
In Tommys Welt musste man solche Fragen stellen, nahm ich an, denn die Leute hielten es nicht lange an einem Ort, bei einer Tätigkeit oder in einer Beziehung aus. Die fast zwanzig Jahre, die Brian schon an der Klinik in der East Monument Street arbeitete, waren wie ein Wunder.
«Und Sie sind aus Neuseeland», sagte er zu mir. «Ich habe Ihr Buch gelesen,
Die Zündschnur
.»
«
Die grüne Zündschnur
», murmelte ich.
«Ja.
Die grüne Zündschnur.
Und
Die Flechten.
»
«
Flechten wie Feuer.
»
«Ja, richtig.
Die grüne Zündschnur
ist genau mein Fall.»
«Ich hab dir erzählt, dass er ein Fan von dir ist», sagte Brian.
Dann maß er vergleichbaren Kummer zu.
«Ihr Mann ist vor einiger Zeit gestorben», sagte er.
Tommy schien das nicht aufzunehmen. Ich begann wiedermit meinem Refrain: «Ich habe immer noch Ihre Seesternbrosche und die Erdkugelohrringe.»
«Ja, daran erinnere ich mich. Wie viele Einwohner hat Neuseeland?»
«Ungefähr so viele wie
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