Auf den Flügeln der Sehnsucht
"Verkaufen?" Lena lachte bitter auf und stützte die Hände in die schmalen Hüften. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in Josefs Sinn wäre. Kannst dich noch erinnern, was er auf dem Totenbett gesagt hat? Wir sollen gemeinsam den Hof weiterführen. Ich hab mein Versprechen bis jetzt gehalten. Nur du spielst nicht mit."
"Ich kann nicht."
"Wenn wir verkaufen, haben wir kein Dach über dem Kopf."
"Mit dem Erlös kannst du mich ins Altersheim stecken, und du darfst wieder in die Stadt zurückkehren. Sicher werden sie dich bei der Bank sehr gern zurücknehmen", schlug Martin Baumann gleichmütig vor.
"Dann würdest du also einfach ins Altersheim gehen? Würdest zulassen, dass unsere ohnehin schon klein gewordene Familie ganz auseinanderbricht?" Sie unterdrückte ein Schluchzen. "Schäm dich, Vater. Von dem einstmals so b eeindruckenden Mannsbild ist nichts mehr übrig geblieben. Es ist nur gut, dass Sepp dich so nicht sehen kann." Lena wusste nicht mehr, welche Taktik sie anwenden sollte, um den Vater aus seiner Lethargie zu reißen.
"Ich sag dir doch die ganze Zeit, dass du mich ins Heim bringen sollst. Ich will ganz bestimmt keine Belastung sein für dich. Und dass ich das bin, das..."
"Jetzt reicht es, Vater. Mir ist wichtig, dass wir den Hof halten können. Mit den beiden Knechten und den drei Mägden kann ich es beim besten Willen nicht schaffen. Mir wächst alles über den Kopf, und für den Schreibkram hab ich gar keine Zeit mehr. Dabei hab ich schon einen Brief vom Amt bekommen. Deshalb hab ich in der Zeitung annonciert, dass ich einen Verwalter suche. Heut kommt einer, der sich bei uns vorstellen will. Frank Palleda hat viel Erfahrung, auch wenn er aus dem Flachland kommt."
Zum ersten Mal glomm so etwas wie Interesse im Blick des Mannes auf. "Ein Mann?"
Lena nickte lächelnd. "Ein Mann", stimmte sie zu. "Ich hoffe nur, er ist der Richtige. Ich mag nämlich nicht unter mehreren Bewerbern aussuchen und die anderen wieder wegschicken müssen", fügte sie unsicher hinzu. "Meinst, du kannst mir dabei helfen?"
Sofort erlosch das Interesse wieder. "Mach es allein", sagte Martin Baumann nur, lehnte den Kopf zurück an die Hauswand und schloss die Augen. "Heute mag ich nichts essen. Plan mich nicht ein, Kind." Seine Gedanken wanderten im Eiltempo davon, und Lena wusste, dass sie jetzt gar nicht mehr weiterreden brauchte, weil er ihr ohnehin nicht mehr zuhörte.
Ein nahendes Auto riss sie aus ihren schwermütigen Gedanken. Ohne Grund begann ihr Herz plötzlich heftig zu klopfen. Schützend hielt sie die Hand vor die Augen und beobachtete den Lieferwagen, der jetzt in den Hof einfuhr. Ein Fremder sprang heraus und schaute sich nun ebenfalls um.
"Wen suchen Sie? Kann ich Ihnen helfen?" fragte Lena, obwohl sie überzeugt davon war, dass der Fremde Frank Palleda war.
"Ich möchte gern den Bauern sprechen", rief der Mann ihr zu und kam rasch näher. "Mein Name ist Frank Palleda", bestätigte er ihre Vermutung.
"Einen Bauern gibt es hier nicht", rief Lena zurück und warf ihrem Vater einen verlegenen Blick zu. Der jedoch hatte ihre Worte anscheinend gar nicht wahrgenommen.
Ein wenig überrascht blieb der Mann vor ihr stehen. Leuchtend blaue Augen, wie sie sie noch nie zuvor gesehen hatte, schauten sie ehrlich an. "Dann sind Sie die Bäuerin? Frau Baumann?"
"Die bin ich. Wir haben den Termin vereinbart." Sie reichte ihm die Hand, ohne den Blick von ihm wenden zu können. Einen Moment lang kämpfte sie mit dem Lachen, denn ihr war ein Spruch eingefallen, den Josef früher oft gebraucht hatte: Du schaust drein wie ein hypnotisiertes Kaninchen. Damals hatten sie beide gelacht, heute tat sie es allein.
"Ist etwas an mir, das Ihre Heiterkeit verursacht hat?" fragte Frank und fuhr sich mit der linken Hand durch das dichte dunkelblonde Haar. "Oder..."
"Es ist alles in Ordnung", versicherte Lena ihm sofort und erzählte den Grund ihres Lachens. Zu ihrer Überraschung lachte Frank Palleda herzlich mit. Das Eis war gebrochen und die junge Bäuerin stellte fest, dass der Himmel dieses Mal vielleicht ein Einsehen hatte und ihr den Wunsch erfüllte, nicht lange suchen zu müssen.
"Ich habe meine Papiere dabei, meine Zeugnisse von der landwirtschaftlichen Hochschule und..."
"Das hat Zeit. Ihre fachliche Qualifikation haben Sie mir ja bereits am Telefon mitgeteilt. Ihre Papiere kann ich mir später ansehen. Jetzt werde ich Ihnen,
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