Auf den Flügeln der Sehnsucht
Tellerrand. "Bist denn narrisch geworden?" fuhr er sie verärgert an. "Du wirst auf dem Hof gebraucht. Die Mila..."
"Die Mila bekommt ein Kind. Sie kann nicht mehr die viele Arbeit machen. Außerdem wäre es ein Risiko, sie in dem Zustand allein auf den Berg zu schicken."
"Dann halt eine andere Magd."
"Ich will auf den Berg, Vater", widersprach Lena heftig. "Ein paar Monate Einsamkeit und Zeit zum Nachdenken werden mir gut tun."
"Und der Hof?" Martin Baumann straffte die Schultern, und zum ersten Mal seit langer Zeit hatte er wieder ein wenig Ähnlichkeit mit dem stattlichen Mann, der er früher einmal gewesen war. "Du bist die Bäuerin und wirst hier gebraucht."
"Und du bist der Bauer und legst dich jammernd ins Bett", fuhr Lena ihren Vater an. Im nächsten Moment taten ihr ihre harten Worte schon wieder Leid, doch sie entsprachen genau der Wahrheit.
Hilfe suchend blickte der alte Mann zu Frank, der jedoch nur mit den Schultern zuckte. "Ich hab schon versucht, sie davon abzubringen", gestand er resigniert. "Sogar heiraten wollte ich sie, nur dass sie bei uns bleibt."
Zornig warf Lena ihren Löffel auf den Tisch. "Ihr verhandelt über mich, als hätte ich keinen Verstand mehr im Kopf. Ich hab mich entschieden, und ich versichere, dass ich mich noch immer im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte befinde. Am Samstag, wenn das Wetter mitmacht, geht's los. Ich freue mich schon darauf , auch, euch eine Weile nicht mehr so oft sehen zu müssen."
"Lena, ich..." Frank wollte einlenken, sich entschuldigen, doch Lena wollte nichts mehr hören. Also schwieg er, blickte sie nur traurig an. "Es... tut mir Leid", murmelte er, "ich dachte, du würdest über meine Worte lachen."
"Das hat nicht geklappt." Sie war aufgesprungen und stand schon an der Tür. "Auf der Alm bin ich ja nicht aus der Welt. Wenn etwas zu regeln ist, kann Frank oder einer der Knechte mich holen und später wieder hinaufbringen. Es wird schon irgendwie weitergehen." Sie verließ eilig die gemütliche Wohnküche.
"Was sagst dazu, Frank?" Unglücklich starrte der Bauer mit seinen blass grauen Augen zum Verwalter. "Ich hab gedacht, du würdest meine Tochter lieben, und ihr beiden..."
"Den Vorschlag hab ich ihr gemacht. Ich hab ihr vor Augen gehalten, wie gut wir uns verstehen und wie sinnvoll doch eine Verbindung zwischen uns beiden sein könnte. Doch Lena hat sich nur verärgert umgedreht und sich weiter ums Essen gekümmert. Sie liebt mich nicht."
"Hat sie das gesagt?"
Frank schüttelte den Kopf. Aller Appetit war ihm vergangen. "Aber sie hat es mir deutlich gezeigt. Sonst hätte sie doch meinen Antrag angenommen", fügte er noch hinzu.
"Lena ist ein Madl, das umworben werden will. Mit logischen Überlegungen richtest du bei ihr gar nix." Jetzt kam richtig Leben in den alten Mann. Die Aussicht, vielleicht bald einen Schwiegersohn und womöglich sogar Enkelkinder zu bekommen, beflügelte ihn regelrecht. "Solange kein anderer Bewerber in Sicht ist, hast noch nicht verloren, vorausgesetzt, du liebst sie wirklich."
"Freilich liebe ich sie."
"Hast du ihr das gesagt?"
"Sie ist doch die Bäuerin. Wie kann ich da zu ihr von Liebe sprechen?"
Der alte Bauer seufzte auf. "Da hab ich gedacht, ich könnte mich getrost aufs Altenteil zurückziehen und auf den Tod warten, und dann kommst du daher und machst mir einen Strich durch die Rechnung, bringst alles wieder durcheinander. Nix ist es mit meiner Ruhe – und das gefällt mir." Er grinste verschmitzt. "Du weißt gar nicht, welchen Dienst du mir erwiesen hast, Frank", fuhr er fort. "Seit ein paar Minuten merke ich, wie langsam die Lebensfreude zu mir zurückkehrt."
Frank lächelte zurück, doch sein Blick blieb ernst. "Dann profitiert wenigstens einer von uns beiden", sagte er seufzend. "Und wie, denkst du, soll es weitergehen? Ich will deine Tochter nicht verlieren."
"Dann sag ihr das?"
"Jetzt noch?" fuhr Frank auf. "D iese Gelegenheit hab ich verpasst. Ich kann nur noch auf die Zeit hoffen."
"Auch gut. Dann lass sie erst einmal auf die Alm gehen. In der Einsamkeit wird sie nachdenken, das hat sie selbst gesagt. Und dann wirst du der einzige sein, der jeden Abend nach der Arbeit oder zeitig in der Frühe zu ihr hinauffährt, um ihr Sachen zu bringen und die Milch zu holen. Der Berg läutert und macht hellsichtig für die wichtigen Dinge im Leben. Ich bin sicher, dann wird sie sich glücklich in
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