Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
Vom Netzwerk:
und zu unserer Linken stiegen im Mondlicht glei- ßend die Marmor-Klippen an. Dazwischen ein- gebettet streckten sich die Rebenhügel aus, in deren Hängen sich der Pfad verlor.
     An diese Wege knüpfen sich Erinnerungen an ein helles, staunendes Erwachen, das uns zugleich mit Scheu erfüllte und erheiterte. Es war, als tauchten wir aus der Lebenstiefe an ihre Ober- fläche auf. Gleichwie ein Pochen uns aus unserm Schlaf erweckt, fiel da ein Bildnis in das Dunkel un- seres Rausches ein — vielleicht das Bockshorn, wie es dort der Bauersmann an hohen Stangen in den Bo- den seiner Gärten stößt, vielleicht der Uhu, der mit gelben Augen auf dem Firste einer Scheuer saß, oder ein Meteor, das knisternd über das Gewölbe schoß. Stets aber blieben wir wie versteinert stehen, und ein jäher Schauer faßte uns im Blut. Dann schien es uns, als ob ein neuer Sinn, das Land zu schauen, uns verliehen sei; wir blickten wie mit Augen, denen es gegeben ist, das Gold und die Kristalle tief unter der gläsernen Erde in leuchtenden Adern zu sehn. Und dann geschah es, daß sie sich näherten, grau und schattenhaft, die uransässigen Geister des Landes, längst hier beheimatet, bevor die Glocken der Klo- sterkirche erklangen, und bevor ein Pflug die Scholle brach. Sie näherten sich uns zögernd, mit groben, hölzernen Gesichtern, deren Miene in unergründ- licher Übereinstimmung heiter und furchtbar war; und wir erblickten sie, mit zugleich erschrockenem und tief gerührtem Herzen. Zuweilen schien es uns, als ob sie sprechen wollten, doch bald entschwanden sie wie Rauch.
     Schweigend legten wir dann den kurzen Weg zur Rauten-Klause zurück. Wenn das Licht in der Bi- bliothek aufflammte, sahen wir uns an, und ich er- blickte das hohe, strahlende Leuchten in Bruder Othos Gesicht. In diesem Spiegel erkannte ich, daß die Begegnung kein Trug gewesen war. Ohne ein Wort zu wechseln, drückten wir uns die Hand, und ich stieg ins Herbarium hinauf. Auch ferner war von solchem nie die Rede zwischen uns.
     Oben saß ich noch lange am offenen Fenster in großer Heiterkeit und fühlte von Herzen, wie sich der Lebensstoff in goldenen Fäden von der Spindel wand. Dann stieg die Sonne über Alta Plana auf, und leuchtend erhellten sich die Lande bis an die Grenzen von Burgund. Die wilden Schroffen und Gletscher funkelten in Weiß und Rot, und zitternd formten sich die hohen Ufer im grünen Spiegel der Marina ab.
     Am spitzen Giebel begannen nun die Haus- Rotschwänzchen ihren Tag und fütterten die zweite Brut, die hungrig zirpte, als würden Messerchen ge- wetzt. Aus den Schilfgürteln des Sees stiegen Ketten von Enten auf, und in den Gärten pickten Fink und Stieglitz die letzten Beeren von den Reben ab. Dann hörte ich, wie die Tür der Bibliothek sich öffnete, und Bruder Otho trat in den Garten, um nach den Lilien zu schauen.

                            2.
    Im Frühling aber zechten wir als Narren, wie es dortzulande üblich ist. Wir hüllten uns in bunte Narrenkittel, deren eingefetzter Stoff wie Vogel- federn leuchtete, und setzten die starren Schnabel- Masken auf. Dann sprangen wir im Narrenschritte und die Arme wie Flügel schwingend hinab ins Städtchen, auf dessen altem Markte der hohe Nar- renbaum errichtet war. Dort fand im Fackelschein der Masken-Aufzug statt; die Männer gingen als Vögel, und die Frauen waren in die Prachtgewänder vergangener Jahrhunderte vermummt. Sie riefen uns mit hoher, verstellter Spieluhr-Stimme Scherz- worte zu, und wir erwiderten mit schrillem Vogel- schrei.
     Schon lockten uns aus den Schenken und Küfer- Kellern die Märsche der Feder-Innungen — so die dünnen, stechenden Flöten der Distelfinken, die schwirrenden Zithern der Mauer-Käuze, die röh- renden Baßgeigen der Auerhähne und die quieken- den Handorgeln, mit denen die Wiedehopf-Zunft ihre schändlichen Verse instrumentiert. Bruder Otho und ich gesellten uns den Schwarzspechten zu, bei denen man den Marsch mit Kochlöffeln auf hölzerne Zuber schlägt, und hielten närrischen Rat und Gericht. Hier galt es behutsam zu trinken, denn wir mußten den Wein mit Halmen durch die Nü- stern der Schnäbel aus dem Glase ziehen. Wenn uns der Kopf zu rauchen drohte, erfrischte uns ein Streif- zug durch die Gärten und Gräben am Ringwalle, auch schwärmten wir auf die Tanzböden aus, oder wir schlugen in der Laube eines Wirtes die Maske auf und speisten in Gesellschaft eines flüchtigen Liebchens aus Buckel-Pfannen ein Gericht

Weitere Kostenlose Bücher