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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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den Händen wiegt. Darüber stiegen dann die kleinen Bände an — ein nicht sehr ausgedehnter botanischer Bestand, doch lückenlos in allem, was je über die Lilien erschien. Auch strahlte dieser Teil der Bü- cherei noch in drei allgemeine Zweige aus — in Werke, die sich mit der Gestalt, der Farbe und dem Duft beschäftigten.
     Die Bücher-Reihen setzten sich noch in der klei- nen Halle fort, und sie begleiteten die Treppe, die nach oben führte, bis an das Herbarium. Hier stan- den die Kirchenväter, die Denker und die klassischen Autoren der alten und der neuen Zeit, und vor allem eine Sammlung von Wörterbüchern und Enzyklo- pädien aller Art. Am Abend traf ich mich mit Bruder Otho in der kleinen Halle, wo im Kamin ein Feuerchen aus dürrem Rebholz flackerte. Wenn über Tag die Arbeit gut gediehen war, dann pflegten wir uns durch jene lässigere Unterhaltung zu zer- streuen, bei der man aufgebahnten Wegen schreitet und Daten und Autoritäten anerkennt. Wir scherz- ten mit den Quisquilien des Wissens und mit dem seltenen oder das Absurde streifenden Zitat. Bei diesen Spielen kam uns die Legion der stummen, in Leder oder Pergament geschnürten Sklaven gut zupaß.
     Meist stieg ich früh in das Herbarium hinauf und setzte dort bis über Mitternacht die Arbeit fort. Bei unserm Einzug hatten wir den Boden gut mit Holz verschalen lassen und lange Reihen von Schränken in ihm aufgestellt. In ihren Fächern häuften sich zu Tausenden die Bündel der Herbarien-Blätter auf. Sie waren nur zum kleinsten Teil von uns ge- sammelt und stammten meist von längst verdorrter Hand. Zuweilen, wenn ich eine Pflanze suchte, stieß ich sogar auf von der Zeit gebräunte Bogen, deren verblaßte Signatur vom hohen Meister Linnaeus selbst geschrieben war. In diesen Nacht- und Mor- genstunden führte und vermehrte ich auf vielen Zet- teln die Register — einmal den großen Namens- Katalog der Sammlung und sodann die Kleine Flora, in der wir alle Funde im Gebiete der Marina sorgsam verzeichneten. Am andern Tage sah Bru- der Otho dann an Hand der Bücher die Zettel ein, und viele wurden von ihm noch bezeichnet und koloriert. So wuchs ein Werk heran, das uns schon im Entstehen viel Genuß bereitete.
     Wenn wir zufrieden sind, genügen unseren Sin- nen auch die kärgsten Spenden dieser Welt. Von je- her hatte ich das Pflanzenreich verehrt und seinen Wundern in vielen Wanderjahren nachgespürt. Und wohl war mir der Augenblick vertraut, in dem der Herzschlag stockt, wenn wir in der Entfaltung die Geheimnisse erahnen, die jedes Samenkorn in sich verbirgt. Dennoch war mir die Pracht des Wachs- tums niemals näher als auf diesem Boden, den ein Ruch von längst verwelktem Grün durchwitterte.
     Bevor ich mich zur Ruhe legte, schritt ich noch ein wenig in seinem schmalen Mittelgange auf und ab. Oft glaubte ich in diesen Mitternächten, die Pflanzen leuchtender und herrlicher als jemals sonst zu sehen. Auch spürte ich von fern den Duft der weißbesternten Dornen-Täler, den ich im Winter- Frühling von Arabia deserta trank, und den Va- nille-Hauch, der in der schattenlosen Glut der Kandelaber-Wälder den Wanderer erquickt. Dann wieder schlugen sich wie Seiten eines alten Buches Erinnerungen an Stunden des wilden Überflusses auf — an heiße Sümpfe, in denen die Victoria regia blühte, und Meeres-Haine, wie man sie auf blei- chen Stelzen weit vor den Palmen-Küsten im Mit- tag schwelen sieht. Doch fehlte mir die Furcht, die uns ergreift, wo immer wir dem Übermaß des Wachstums gegenüberstehen wie einem Götter- bild, das tausendarmig lockt. Ich fühlte, wie mit unseren Studien zugleich die Kräfte wuchsen, den heißen Lebensmächten standzuhalten und sie zu bändigen, so wie man Rosse am Zügel führt.
     Oft graute schon der Morgen, ehe ich mich auf das schmale Feldbett streckte, das im Herbarium auf- geschlagen war.

                            5.
    Lampusas Küche ragte in den Marmorfels hin- ein. Dergleichen Höhlen boten in alten Zeiten den Hirten Schutz und Unterkunft und wurden später gleich Zyklopen-Kammern in die Gehöfte ein- gebaut. Schon früh, wenn sie das Morgen-Süppchen für Erio kochte, sah man die Alte am Feuer stehen. Dem Herdraum schlossen sich noch tiefere Gewölbe an, in denen es nach Milch, nach Früchten und aus- getropften Weinen roch. Ich trat nur selten in diesen Teil der Rauten-Klause ein, da mir Lampusas Nähe ein beklommenes Gefühl erweckte, das ich gern ver- mied. Dafür war Erio hier

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