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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Jünger
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von Schnecken auf Burgunder Art.
     Überall und bis zum Morgengrauen ertönte in diesen Nächten der schrille Vogelruf— in den dunk- len Gassen und an der großen Marina, in den Kasta- nien-Hainen und Weingärten, von den mit Lam- pionen geschmückten Gondeln auf der dunklen Fläche des Sees und selbst zwischen den hohen Zy- pressen der Friedhöfe. Und immer, wie sein Echo, hörte man auch den erschreckten, flüchtenden Schrei, der ihn erwiderte. Die Frauen dieses Landes sind schön und voll der spendenden Kraft, die der alte Pulverkopf die schenkende Tugend nennt.
     Wißt Ihr, nicht die Schmerzen dieses Lebens, doch sein Übermut und seine wilde Fülle bringen, wenn wir uns an sie erinnern, uns den Tränen nah. So liegt dieses Stimmen-Spiel mir tief im Ohre, und vor allem jener unterdrückte Schrei, mit dem Lauretta mir am Wall begegnete. Obwohl ein weißer, gold- bordierter Reifrock ihre Glieder und die Perlmutt- Larve ihr Gesicht verbarg, hatte ich sie an der Art, in der sie schreitend ihre Hüfte bog, im Dunkel der Allee sogleich erkannt, und ich barg mich listig hin- ter einem Baum. Dann erschreckte ich sie durch das Spechts-Gelächter und verfolgte sie, indem ich mit den weiten, schwarzen Ärmeln flatterte. Oben, wo der Römerstein im Weinland steht, fing ich die Er- schöpfte ein, und zitternd preßte ich sie in den Arm, die feuerrote Maske über ihr Gesicht gebeugt. Als ich sie wie träumend und durch Zaubermacht ge- bannt so in meinem Griffe ruhend fühlte, faßte mich das Mitleid an, und lächelnd streifte ich die Vogel- Larve auf die Stirn empor.
     Da begann auch sie zu lächeln, und leise legte sie die Hand auf meinen Mund — leise, daß ich nur den Atem, der durch ihre Finger wehte, in der Stille noch vernahm.

                            3.
    Sonst aber lebten wir in unserer Rauten-Klause tag- aus, tagein in großer Eingezogenheit. Die Klause stand am Rande der Marmor-Klippen, inmitten einer der Felsen-Inseln, wie man sie hier und dort das Rebenland durchbrechen sieht. Ihr Garten war in schmalen Bänken aus dem Gestein gespart, und an den Rändern seiner locker aufgeführten Mauern hatten sich die wilden Kräuter angesiedelt, wie sie im fetten Weinbergland gedeihen. So blühte im frühen Jahr die blaue Perlen-Traube der Muskat- Hyazinthe, und im Herbst erfreute uns die Juden- kirsche mit ihrer gleich roten Lampionen leuchten- den Frucht. Zu allen Zeiten aber säumten Haus und Garten die silbergrünen Rauten-Büsche, denen bei hohem Sonnenstande wirbelnd ein krauser Duft ent- stieg.
     Am Mittag, wenn die große Hitze die Trauben kochte, war es in der Klause erquickend kühl, denn nicht nur waren ihre Böden nach südlicher Manier mit Mosaiken ausgelegt, sondern es ragten manche ihrer Räume auch in den Fels hinein. Doch lag ich um diese Zeit auch gerne auf der Terrasse aus- gestreckt und hörte halb im Schlaf dem gläsernen Gesänge der Zikaden zu. Dann fielen die Segelfalter in den Garten ein und flogen die Teller-Blüten der wilden Möhre an, und auf den Klippen sonnten die Perlen-Echsen sich am Stein. Und endlich, wenn der weiße Sand des Schlangen-Pfades in Hochglut flammte, schoben sich langsam die Lanzen-Ottern auf ihn vor, und bald war er von ihnen wie ein Hieroglyphen-Band bedeckt.
     Wir hegten vor diesen Tieren, die zahlreich in den Klüften und Schrunden der Rauten-Klause hausten, keine Furcht; vielmehr ergötzte uns bei Tage ihr Farbenglanz und nachts das feine, klingende Pfei- fen, mit dem sie ihre Liebes-Spiele begleiteten. Oft schritten wir mit leicht gerafften Kleidern über sie hinweg und schoben sie, wenn wir Besuch bekamen, dem vor ihnen graute, mit den Füßen aus dem Weg. Stets aber gingen wir mit unseren Gästen auf dem Schlangen-Pfade Hand in Hand; und oft bemerkte ich dabei, daß ein Gefühl der Freiheit und der tän- zerischen Sicherheit, das uns auf dieser Bahn ergriff, sich ihnen mitzuteilen schien.
     Viel wirkte wohl zusammen, die Tiere so ver- traut zu machen, doch hätten wir von ihrem Trei- ben ohne Lampusa, unsere alte Köchin, kaum ge- ahnt. Lampusa stellte ihnen, solange der Sommer währte, Abend für Abend vor die Felsen-Küche ein Silber-Kesselchen voll Milch; dann lockte sie die Tiere mit dunklem Ruf herbei. Da sah man in den letzten Sonnenstrahlen überall im Garten die gol- dene Windung leuchten, über der schwarzen Erde der Lilien-Beete und den silbergrünen Rauten-Pol- stern, und hoch im Hasel- und Holunderstrauch. Dann legten die

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